Ihr Lieben!
Es gibt so Dinge, da muss ich nicht lange überlegen, sondern weiß die Antwort sofort: Will ich einen Keks? – Klar! Brauche ich noch etwas aus dem Bastelladen? – Immer! Gibt es etwas besseres als eine Katze auf dem Bauch? – Nichts! In diese Kategorie der Fragen gehört wohl auch folgende: Möchte ich den neuen Roman von Mathias Malzieu rezensieren? – Sofort! Darum hier also alles rund um „Der kleinste Kuss der Welt“.
Der Protagonist dieser Geschichte ist von Berufswegen melancholischer Erfinder – und verliebt. Hals über Kopf in die atemberaubend schöne Sobralia, die er bei einem Tanzabend trifft. Mit all seinem Mut wagt er es und gibt ihr einen flüchtigen Kuss – wodurch sie unsichtbar wird. Völlig aufgewühlt wendet er sich darum an den Privatdetektiv Gaspard Neige, welcher ihm die beste Spürnase für die Suche nach schönen Frauen leiht: ein blauer Papagei namens Elvis. Mit diesem begibt sich der junge Erfinder auf die Suche nach seiner Angebeteten – und findet sie sogar. Doch sie bleibt unsichtbar. Es muss sich erst ein zartes Band aus Vertrauen zwischen den beiden knüpfen, damit Sobralia wieder sichtbar werden kann. Ob sie es rechtzeitig schafft, ihrem Geliebten ihr wahres Gesicht zu offenbaren?
Der kleinste je verzeichnete Kuss. Eine Tausendstelsekunde, Samt und Flaum inklusive. Kaum mehr als ein Hauch, ein Origami. Der Anflug eines Kurzschlusses. Ein gegen null tendierender Feuchtigkeitsgehalt, eine Substanz wie Schattenstaub. Der kleinste je verzeichnete Kuss.
Wir sahen einander kaum an. Wir berührten einander kaum, sagten fast nichts. Übergroße Augen in ihrem Gesicht aus Porzellan, ein merkwürdig entschuldigendes Lächeln. Ihre Lippen, die dahinschmolzen wie eine winzige Schneeflocke, die sich im Hochsommer an den Strand verirrt hat, und meine Lippen, die sie wie ein übereifriges Eisfach einzufangen versuchten. Ein als Miniaturkuss verkleideter Schneesturm. Elektrisierender als Liebe auf den ersten Blitz. Der kleinste je verzeichnete Kuss. ein grelles Licht, und dann nichts.
Sie war fort.Der kleinste Kuss der Welt, S. 9.
Mathias Malzieu verzückt seine Leserschaft nach „Die Mechanik des Herzens“ und „Metamorphose am Rande des Himmels“ hier nun mit seinem dritten Roman in Folge im vertrauten Ton und mit der geliebten Zärtlichkeit seiner Sprache. Denn auch wenn bereits die Handlung seiner Geschichten eine ganz besondere Mischung aus Realtität und seltsam selbstverständlicher Magie darstellen, so ist es doch immer wieder seine Wortwahl, die diesen ganz speziellen Funken überspringen lässt und durch den seine Charaktere so plastisch werden und deren Schicksal sich dem Leser direkt ins Herz einpflanzt.
Auch hier kann Malzieu wieder erfolgreich zaubern: Denn die Suche nach Sobralia allein ist schon köstlich wie eigentümlich zugleich. Ohne ins als kitschig Verpöhnte oder mit grotesk zu Beschreibende abzudriften, kreiert er Szene nach Szene eine so faszinierende Welt, in der es völlig selbstverständlich ist, dass ein Papagei als Liebesbote eingesetzt wird und man den Geschmack von Küssen in Pralinen bannen kann. Nichts ist eigenartig oder mutet unpassend an – alles ergibt ein großes Ganzes, ein bunter Teppich aus wundervollen Metaphern und vielen Gefühlen: Von Sehnsucht über Furcht, von Wut über Zweifel. So surreal Malzieus Welt scheinen mag, so sehr kriecht sie einem doch unter die eigene Haut und berührt.
Die Charaktere sind mit so viel Liebe ausgefeilt, wie es selten in der modernen Literatur vorkommt. Man fiebert bei jeder kleinsten Entwicklung mit, hofft und bangt, dass die beiden eine Lösung finden können – und als das Leben ihnen dazwischen zu funken droht möchte man sich fassungslos und ratlos die Haare raufen. Denn irgendwas kommt doch immer dazwischen – oder? Ein Kunstmärchen, welches den Alltag einer Beziehung zeigt, ohne dabei grob, platt oder gewöhnlich zu sein. Poetisch und im bewährt burtonesken Stil werden alle Probleme dargestellt und damit umso (be-)greifbarer gemacht. Denn sind wir nicht alle manchmal etwas unsichtbar?
Mein Fazit: „Der kleinste Kuss der Welt“ steht seinen Vorgängern beim Zauber der Sprache in nichts nach. Auch die Figuren sind wieder ein Genuss, genauso wie der gesamte Plott. Wenn es etwas zu kritisieren geben müsste, wäre es wohl, dass der Roman an einigen wenigen Stellen gerne noch etwas mehr in die Tiefe hätte gehen dürfen. Denn im Vergleich zu seinen Vorgängern hat er mich nicht zu Tränen gerührt. Aber ob das ein wirklich notwendiges Kirterium ist, bezweifle ich stark, denn nach dem Konsum des Romans ist man dennoch auf Wolke 7 hängen geblieben und will eigentlich gar nicht wieder runter kommen – und brauch es auch nicht. Man kann das Buch einfach gleich noch einmal lesen. 😉
Die harten Fakten:
Mathias Malzieu – Der kleinste Kuss der Welt.
12,99 €
erschienen bei carl’s books
ISBN: 978-3-570-58547-4
Ich bedanke mich beim carl’s books Verlag für die kosten- und bedingungslose Bereitstellung dieses Rezensionsexemplares!