Ihr Lieben!
Mein Leben verlief lange Zeit so, dass ich – immer wenn ich eine Sache abgeschlossen habe – irgendwie recht nahtlos in die nächste geglitten bin. Oft habe ich mir darüber keine Gedanken gemacht, die Entwicklungen immer als gegeben hingenommen und konnte damit gut umgehen.
So kam ich auch an mein Studienfach und -ort. Beides hätte ich mir sicherlich bewusster aussuchen, abwägen und umfassender vergleichen können. Habe ich aber nicht. Sondern bin binnen 2 Monaten in eine andere Stadt gezogen – weil sie nicht so weit weg war. Und weil ich da schon jemanden kannte. Und weil es nicht die TU Dresden war. Und nicht Leipzig. Dafür aber Halle.
Halle. Die Diva in Grau. So wurde mir die Stadt an der Saale immer vorgestellt. Ich hatte also Plattenbauten und Tristess deluxe vor Augen, als ich mir sage und schreibe einmal die Stadt vor meinem Entschluss anschaute. Das war im Sommer, tatsächlich ein sonniger Tag. Und alles war so grün und meine Freundin schwärmte mir von Halle und dem Studentenleben vor. Also wurde es Halle. Aber es wurde nichts mit grün und schön. Es wurde ein etwas abgelegenerer Stadtteil und eine WG, die anfangs lustig, später schwierig wurde und irgendwann einfach zerbrechen musste – damit ich nicht endgültig zerbrach.
Diese Erfahrungen verband ich lange Zeit mit Halle. Das Wetter war immer grau, es regnete und war kalt. Immer. Die Wege waren lang, die Menschen seltsam. Verbarrikadiert hinter meinem Schreibtisch, damit mich die Welt da draußen – Halle – nicht kriegen konnte, verharrte ich in einer Art Winterschlaf. Ich gab der Stadt die Schuld. So schlecht ging es mir vorher noch nie. Es musste die Stadt sein. Dass die Gründe woanders lagen, wurde mir erst spät – fast zu spät bewusst.
Doch als ich schließlich aus meiner nicht ganz selbstgewählten Festung der Einsamkeit ausbrach, erkannte ich – es lag nicht an Halle. Und plötzlich wurde gar nicht das Grau der prägende Aspekt im Beinamen der Saalestadt, sondern die Diva. Denn Halle konnte auch bunt. Es konnte schön. Es hatte Atmosphäre. Und all die Dinge, die mir bei meinem ersten Besuch so positiv erschienen, krochen langsam wieder in mein Sichtfeld.
So sehr ich die zweite Hälfte meines Lebens in Halle auch liebte und schätzte, so deutlich wusste ich dennoch, dass es niemals diese Leere in meinem Herzen und Bauch ausfüllen können würde. Es blieb diese Beziehung auf Zeit, eine Sommerliebe, eine kurze, emotionale Affäre. Aber es war doch immerhin keine Zweckehe mehr. Denn mit der richtigen Gesellschaft konnte ich die vielen Facetten Halles wesentlich besser genießen.
Kultur, Universität und fancy Futter – das alles zusammen mit diesem Gefühl der Freiheit und Selbstständigkeit, welches man wohl wirklich nur in einer Einraumwohnung während des achten Hochschulsemesters hat (längst kein Grünschnabel mehr, aber das Ende hat noch etwas Zeit) – das verknüpft sich unlösbar mit dem Anblick der großen Ulrichstraße, mit dem Reileck und natürlich auch mit den bunten Porzellanstücken im Schaufenster des Café NTs.
Und so kann ich heute doch mit einem lächelnden und einem weinenden Auge zurückschauen, wie man das eben so tut auf eine alte Liebschaft. Und wenn die Sehnsucht nach dieser Zeit wieder emporwallt, verschaffe ich mir einfach mit einem kleinen Kurzbesuch bei der Grauen Diva Linderung, denn – Halle ist ja nicht so weit weg. Und ich kenne da noch jemanden…
Dieser Text ist inspiriert von den Transitstadt-Beiträgen von Stadtnotizen und Les Flâneurs.