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Leerstand.

Im tiefsten Inneren weiß ich, dass ich es nicht mehr lange schaffen kann. Wie eine dicke Luftblase unter Wasser stößt die Gewissheit langsam, träge, aber doch zielstrebig an die Bewusstseinsoberfläche: Gleich bin ich wach.
Ich rede mir ein, dass ich eigentlich noch schlafe, es ist noch nicht Zeit, noch nicht an der Zeit für offene Augen, noch zu früh für Bewegung. Eigentlich schlafe ich noch. Eigentlich bin ich noch im Land der watteweichen Wunderträume – obwohl ich da schon lange nicht mehr war. Eigentlich. Eigentlich ist eigentlich eine Verneinung. 

Dein Wecker klingelt und verschafft mir Gewissheit – Schrecken und Erleichterung in Personalunion bei jedem grellen Piepen dieses kleinen schwarzen Kastens auf deiner Nachttischseite. Schnell schaltest du ihn aus und ich kneife die Augen noch etwas fester zu, damit du denkst, ich schlafe noch. Wenigstens du sollst das denken. Glauben, dass alles in Ordnung ist, vertrauen, dass ich gut geschlafen habe, mit schönen Träumen. 
Mit einer Mischung aus Behutsamkeit und Trägheit schälst du dich unter der Bettdecke hervor. Der Klang der Tür, die du sachte schließt ist das Ende meiner Scharade. Klack – die Tür ist geschlossen. Klack – die Augen öffnen sich. Und starren ins Leere. Ich ertrage die Zimmerdecke nicht, unsere Gardinen auch nicht. quälend langsam schiebe ich meinen müden Körper die unendlich weit entfernten Zentimeter rüber auf deine Bettseite, um ein bisschen von deiner übriggebliebenen Wärme einsaugen zu können. Wie eine Katze rolle ich mich zusammen, rolle mich um diesen Rest an Wohlgefühl, der bald auch verfliegen wird, bald nicht mehr als Du auszumachen ist, da ich ihn mir komplett einverleibt habe.
Ich verfolge die Geräusche, die von deiner Gegenwart zeugen. Der Wasserhahn, die Dusche, der Wasserkocher. Das Klirren deines Löffels in der Schüssel. Das ganz leise, dumpfe Quasseln des Fernsehers. Und darüber finde ich nochmals Ruhe. Kann die Leere doch noch einmal aussperren. Meine Augenlider gleiten wieder zu. Für Sekunden im Minutentakt schleiche ich mich nochmals aus dem Wachsein in die wohlige Zwischenwelt des Dämmerzustands. 

Rechtzeitig mit dem Brummen deiner elektrischen Zahnbürste im Bad wache ich wieder auf. Schon kommst du leise ins Zimmer und setzt dich aufs Bett, vorsichtig, damit du mich nicht vielleicht weckst. Schon längst habe ich für dich meine Augen aufgeschlagen, schon längst mein Lächeln gefunden und rasch geputzt aufgesetzt. Guten Morgen mein Schatz!
Unser täglicher Dialog spielt sich wie ein Ritual ab. Doch die Uhr ist unerbittlich. Zum Abschied schmiege ich mich nochmals an dich, zögere mit noch einem Kuss dein Weggehen etwas länger hinaus, versuche gespielt dich wieder ins Bett zu ziehen – aber innerlich doch halb ernst gemeint. Und schließlich lasse ich dich gehen. Ist alles okay? Ja, alles in Ordnung, hab einen schönen Tag!
Ich verfolge dich mit den Ohren. Der Reißverschluss deiner Jacke. Die knarzende Wohnungstür. Das metallische Klirren der Schuhlöffels, den du wieder an die Treppe hängst. Deine Schritte – etwas schwer und müde noch – die Stufen herunter. Deine brummelnde Stimme, im immer wiederkehrenden Zwiegespräch mit der ungeduldigen Katze. Und dann ist die Tür zu. 
Doch ich glaube dich immer noch zu hören. Meine, zu wissen, dass die kalte Morgenluft deinen Hals reizt und du zwei Mal husten musst. Bin mir sicher, das Klickern des Autoschlosses vernommen zu haben. Das dumpfe Dröhnen des Dieselmotors höre ich mit gespitzten Ohren tatsächlich. Und dass es sich entfernt auch. Irgendwann zwischen zwei Herzschlägen habe ich es in der Ferne verloren. 

Was bleibt ist die Leere, die Zimmerdecke und der Gedanke, dass dieser Tag auch wieder nichts bringen wird. Schlafen kann ich nicht mehr, liegen ertrage ich nicht. Ich stehe auf. 
Warum? Wozu? Es ändert sich nichts. Anfangs war ich noch energiegeladen, schon bald nur noch hoffnungsvoll. Inzwischen ist Frust geblieben. Und ich weiß es, ich merke es, die Verzweiflung kratzt im Hintergrund, will raus kommen zum Spielen. Aber noch habe ich genug Kraft, ihr Hausarrest zu verdonnern.
Aber wie lange ich gegen diese Leere noch ankomme – manchmal weiß ich es nicht mehr. Manchmal vergesse ich mich, obwohl ich mich doch finden will. Kann man vor lauter suchen das verlieren, was man schon hatte, so dass nur noch Leerstand bleibt?
Ich hoffe nicht.

Und solange ich noch hoffe, bin ich noch nicht ganz verschwunden. Das weiß ich. 

Bitte nicht all zu wörtlich bzw. dramatisch nehmen, es ist eine Schreibwerkstatt-Arbeit! 😉 

Von der Freundlichkeit des ‚Nein‘

Ihr Lieben!
Da regen sich die Leute über die Jugend von heute auf, über deren nichtvorhandene Erziehung, ihrem verunglücktem Anstand und dem durch Abwesenheit glänzenden Mitgefühl. Und so sehr ich in meiner Grießkram-Renter-Motz-Mentalität gerne in diesen Chorus einstimme und mich dabei galant aus dem Brei der ungezogenen Rotzbratzen herausnehme, so muss ich diesen Objekten meines Ungemachs doch eine Tugend widerwillig zugestehen: Sie sagen Nein.
Selbst die kleinsten Schreibabys artikulieren schon ihre Ablehnung, die in den Hormontopf gesprungenen Pupertätsopfer drücken sich ähnlich unmissverständlich aus („Ey alda, NEEE! Isch hau disch Krankenhaus, alda!„) – warum denn dann nicht wir sogenannten Erwachsenen? Es würde viele Sachen so viel einfacher machen! 
Nehmen wir mal beispielsweise das Benehmen der älteren, seriöseren Zünfte im harten Kampf um eine Arbeitsstelle. Hier hat sich heutzutage nämlich auf Seiten der Arbeitsgeber diese besondere neue Spezies des menschlichen Schwarzen Lochs eingebürgert. 
Hat man noch so stark und scharf an einer Bewerbung gefeilt, sich das Herz aus der Brust gerissen, es ausgewrungen und mit dem Blut die einzelnen Wörter behutsam und bedacht auf das Papier gebracht – und man stelle sich bitte die Verzweiflung in diesem Szenario vor, wenn es zu einem Rechtschreibfehler kommt… Man hat also jeden Buchstaben sorgfältig abgewogen, tütet sein nach Außen gekehrtes Inneres in diesen großen braunen Umschlag ein, drückt ihm noch einen Kuss auf und übergibt ihn zittrig dem gelangweilt schauenden Postbeamten – der sich der fundamentalen Bedeutsamkeit dieses Augenblicks gar nicht bewusst ist, der Banause – und beginnt dann zu warten.
Und man wartet. Und wie man wartet. Geduldig. Beherzt. Hoffnungsvoll. Erbebend bei jedem Klingeln, herzinfarktgefährdert bei jedem Gang zum Postkasten. Doch diese Beziehung verschlechtert sich zusehends in den nächsten Tagen bis es zu einem frustrierten, hasserfüllten Grollen dem kleinen Blechtier gegenüber wird. Irgendwann begreift man schließlich, dass er ja nur das Ende in dieser grausamen Kette der Verachter und Quälgeister ist. Der nächste Schuldige ist der Postbote oder besser noch die gesamte Post, ja, sicherlich dieser Arsch von Postmensch, der den Brief damals gar nicht in den Postausgang sortiert hat, sondern ihn gemeiner Weise in die Ablage P (P wie Papierkorb) gepackt hat. Einfach weil er’s kann. 
Doch dies lässt sich nun natürlich schon lange nicht mehr nachvollziehen, geschweige denn beweisen. Mal ganz unter uns und im sachlich-nüchternem Bewusstsein gedacht, wird dem wohl auch nicht so sein. Denn der wahre Grund sind eben diese menschlichen schwarzen Löcher. Ohne darauf zu achten, ob es Sonnen oder Geröllklumpen, Werbeprospekte des Supermarktes gegenüber oder Bewerbungsunterlagen einer nette jungen Frau sind – alles wird ungesehen verschluckt und landet in einer stummen, starren, kalten Schwärze, aus der es kein Entrinnen mehr geben wird. Und somit natürlich auch keine Rückmeldungen mehr nach Außen. Diese menschlichen schwarzen Löcher sind also wahrschienlich zu einem großen Teil mit Schuld an dem schlechten Verhältnis der Verbraucher den Postunternehmen gegenüber. Mit einem kleinen Wort wäre es doch schnell getan gewesen und man hätte nicht viel Aufwand gehabt und wesentlich mehr Liebe in der Welt. 
Das Wort lautet Nein. 
Vier Buchstaben, die es wert sind, ausgesprochen zu werden. Dadurch würden Resourcen vernünftiger und ökonomischer genutzt. Das zwischenmenschliche Verhältnis würde sich rapide bessern. Und es ist doch auch für den Aussprechenden eine gewisse Erleichterung, keine Repressalien mehr von unamüsierten Bewerbern erwarten zu müssen, die sich mit Gewalt ihre Antwort aus dem Personaler herausschütteln wollen. 
Nein macht glücklich, Nein beruhigt, Nein bringt Klarheit – und vielleicht sogar den Weltfrieden (Nein zum Krieg wäre doch auch mal was!).*
Aber offensichtlich stehe ich damit allein da. Ich werde also weiter meinen Briefkasten foltern, meinem Postboten argwöhnisch entgegenraunen, dass ich genau weiß, was für Machenschaften er betreibt und den bestmöglichsten Einstieg in mein Wunschunternehmen planen, um dem schwarzes-Loch-Personaler mal ordentlich verbal auf den Tisch zu kacken.
Bisher sieht dieser Plan vor, mich als Pizzabote mittags einzuschleusen. Ich habe sogar schon Ausschreibungen dafür gefunden. Da setz ich mich doch gleich mal ran und schreib eine neue Bewerbung.
Halt. Irgendwas stimmt da nicht … 
*natürlich weiß ich, dass Nein auch Kummer bringt. Nein auf die Frage, ob man einen Käsekuchen kriegt. Nein auf die Frage, ob jemand mit einem spielen will. Oder eben Nein auf die Frage, ob man diese eine Stelle bekommt. Aber es bringt dennoch eine gewisse Erleichterung. Immerhin.