Im Jahre 2060 ist Klonen keine unübliche Sache. Historische Persönlichkeiten für den eigenen Haushalt anzuschaffen, ist im Alltag der Menschen angekommen. Und so verwundert sich der alleinerziehende Geschichtsprofessor Tycho Mercier auch nicht, wenn er die Marilyn Monroe seines Nachbarns gelegentlich trifft. Im Gegenteil, heimlich bewundert er seinen alten Jugendschwarm sogar.
Umso verwunderter ist er allerdings dafür, als er einen Klon bei einer Tombola gewinnt und dieser auch noch ein Modell der verbotenen Reihe A.H. ist – Adolf Hitler. Sein Sohn Bruno – ebenfalls mit der väterlichen Faszination für Geschichte infiziert – erklärt „Dolfi“ begeistert zu seinem neuen Spielkamerad. Doch Tycho ist von der Situation nicht erfreut. Seine Versuche, den Klon zurückzugeben, scheitern jedoch kläglich.
Als dann auch noch die Marilyn seines Nachbarn bei ihm klingelt, völlig aufgelöst, weil ihr Besitzer bewusstlos am Boden liegt, ist das Chaos für den ansonsten so ordentlichen und bescheidenen Tycho perfekt. Denn, was er nicht weiß: Marilyn ist eine illegale Raubkopie aus Südostasien…
„Als ich eintrat, blickte der Klon in meine Richtung, ohne jedes Anzeichen von Neugierde. Er saß ziemlich aufrecht, die Hände lagen auf den Armlehnen, die Beine waren eng angewinkelt. Er presste die knochigen Knie aneinander, die nackt zwischen den Hosenbeinen und den Wollstrümpfen hervorguckten. Er hielt meinem Blick stand, aber ohne dreist zu wirken. Ehrlich gesagt drückten seine Augen gar nichts aus. Sie schienen lediglich zu registrieren, was sich um ihn herum abspielte, ohne eine Wertung vorzunehmen oder einen Kommentar abzugeben. Er war schätzungsweise fünfunddreißig Jahre alt: Hitler zur Zeit des missglückten Putschversuchs von 1923 (…).“
Dolfi und Marilyn, S. 17 f.
Doch dann kippt die Stimmung. Denn was passiert eigentlich mit den illegalen Klonen, wenn sie erfolgreich reklamiert worden sind? Fehlerhafte Ware wird eingestampft. Aber Klone haben doch auch Empfindungen, sie sind doch Lebewesen? Haben sie nicht die gleichen Rechte wie wir? Allein diese Überlegungen heben den Roman aus dem amüsanten Augenzwinkern heraus und bugsieren ihn in eine philosophische Ecke voller Grundsatzfragen, die auch auf aktuelle Situationen der Realität Anwendung finden können.
Das hätte in meinen Augen gereicht, um der Einschätzung der Presse – ein humorvolles, ironisches Lesevergnügen voller Denkanstöße – gerecht zu werden. Doch der Autor wollte gerne noch eine Schippe drauf legen. Denn während ein Klon von Marilyn Monroe wohl kaum zu weltpolitischen Schwierigkeiten führen kann, sieht das bei dem Modell A.H.6 schon anders aus. Saintonge kreiert also in der zweiten Hälfte des Romans eine inzwischen völlig verzerrte Realität, die schon lange nicht mehr amüsant ist, sondern zeigt, was passiert, wenn ein solches „Produkt“ in die falschen Hände gerät. Die dabei immer wieder auftretenden Zeitsprünge waren für meinen Geschmack etwas zu ruckartig. Auch das bis ins äußerste Extrem getriebene Spiel des Autors erfüllte mich gen Ende eher mit Irritation als Amüsement.
Mein Fazit: Denkanstöße waren viele dabei – für meinen Geschmack fast zu viele. Ich fühlte mich teilweise von dem Roman ein wenig an der falschen Stelle berührt. Denn Während der Anfang in meinen Augen viel Humor versprach und so viel Potential in sich trug, wechselte der Eindruck irgendwann in das Groteske und für meinen Geschmack zu stark Überspitzte. Vielleicht bin ich zu nahe an der Thematik der NS-Zeit dran und kann darum nicht darüber lachen, aber vielleicht ist der Roman auch in Wahrheit nicht halb so lustig, sondern dafür so beklemmend, wie ich es zum Teil empfunden habe.
Wer das beachtet und mit der entsprechend korrigierten Erwartung an das Buch herangeht, wird aber nach wie vor ein lesenswertes Stück Literatur vorfinden!
Die harten Fakten:
Ich bedanke mich beim carl’s books Verlag für die kosten- und bedingungslose Bereitstellung dieses Rezensionsexemplares!