Ihr Lieben!
Rückblickend auf die Leipziger Buchmesse steht ja immer noch die Rezension eines wirklich – so viel sei jetzt schon gesagt – tollen Buchs aus. Bei mir war einfach privat zu viel los. Nun kann ich aber endlich stolz verkünden, dass ich heute die Besprechung von Stefan Bachmanns „Die Seltsamen“ präsentieren kann.

„Bartholomew Kettle sah sie in dem Moment, als sie mit den Schatten in der Krähengasse verschmolz – eine vornehme Dame, die ganz in pflaumenfarbenen Samt gekleidet war und mit der Haltung einer Königin die schlammige Straße entlangstolzieren. Er fragte sich, ob sie diesen Ort jemals wieder verlassen würde. (…)
In den Elendsvierteln der Feenwesen in Bath war man Fremden nicht besonders gewogen. (…) Diese Dame sah äußerst lohnenswert aus, fand Bartholomew. Er wusste, dass manche Leute schon für weniger getötet hatten. (…)
Er klappte sein Buch zu, drückte sich die Nase an dem schmutzigen Fenster platt und blickte ihr nach, wie sie die Gasse entlangschritt. (…) ‚Hettie‘, zischte Bartholomew, ohne sich vom Fenster abzuwenden. ‚Hettie, komm, schau mal!‘
Füße trippelten durch das dunkle Zimmer. Neben ihm tauchte ein kleines Mädchen auf. Sie war schrecklich dünn, und ihr Gesicht bestand nur aus kantigen Knochen und blasser Haut, die einen Stich ins Bläuliche hatte, weil sie nicht genug in die Sonne kam. Das Mädchen war geneuso hässlich wie er. (…) Es war nicht zu übersehen, dass sie Feenblut in den Adern hatte.“
In einem London, welches vor langer Zeit den sogenannten „Heiteren Krieg“ zwischen Feenwesen und Menschen überstanden hat, ist das Leben für jegliche magische Kreatur hart. Allerdings nehmen wohl die ‚Seltsamen‘ – Kinder von Menschen und Feen – die unterste Stellung in dieser Gesellschaft ein. Sie müssen sich versteckt halten, um nicht getötet zu werden und fristen ihr Dasein in ärmlichsten Verhältnissen. So auch Batholomew und seine kleine Schwester Hettie. Der Junge träumt von einem normalen Leben und wünscht sich nichts weiter als einen Freund. Doch das ist unmöglich, denn er ist hässlich, er ist ein Seltsamer, gefürchtet von sowohl den Menschen als auch den Feen. Insbesondere in den jüngsten Tagen leben Mischlingskinder zudem gefährlich. Denn immer wieder findet man ihre Leichen in der Themse.
Als Bartholomew schließlich beobachtet, wie eine mysteriöse Frau das nächste Seltsamenkind entführt, wird er unvorsichtig und von dieser entdeckt. In dem Bewusstsein, dass er der nächste ist, versucht er seine Familie zu beschützen – und tritt damit erst recht in ein Abenteuer ein, welches viel zu groß für ihn erscheint. Einzig der etwas unbeholfene und faule Politiker Arthur Jelliby scheint ihm helfen zu können. Aber ist er vertrauenswert?
Der noch junge Autor Stefan Bachmann hat in „Die Seltsamen“ ein völlig neues England geschaffen: Zwischen einer viktorianisch anmutenden Gesellschaft mit klassischen Steampunk-Elementen zieht sich der Fantasy-Aspekt wie ein roter Faden leitend durch den Roman. Mit viel Fanatsie und Liebe zum Detail führt Bachmann den Leser in diese doch etwas andere Welt ein. Zu Beginn scheint er sich in den zahlreichen Schilderungen fast ein wenig zu verlaufen, jedoch bringt er die Geschichte nach einer kurzen Aufwärmphase dann doch erfolgreich auf Kurs.
Die wohl überraschendste Neuigkeit an seinem Blickwinkel ist die Tatsache, dass Feen, Elfen und all die anderen magischen Geschöpfe hier nicht als wunderbare Helden und elegante Zauberwesen dargestellt werden. Sie sind viel mehr als hässliche und schaurige Gestalten gezeichnet, womit Bachmann auf alte Sagen und Geschichten dieses Kulturkreises zurückgreift und sie imposant wieder in das Bewusstsein unseres Zeitalters holt. Fern ab von Harry Potter und Hobbiten ist es ein spannender Griff, das Magische als Bedrohung darzustellen, ohne es aber völlig zu verteufeln. Es ist eine unter der Oberfläche schwelende Macht, welche ihr Recht wieder einzufordern beginnt.
Auch die beiden Helden des Romans – Bartholomew und Arthur Jelliby – sind ausgesprochen eigenwillig. Während der Junge nichts Besonderes an sich hat – keine Magie, keine besonderen Kräfte, ja nicht einmal ein auffälliges Aussehen wie seine Schwester – ist Jelliby auch alles andere als ein wirklicher Held. Behäbig, tollpatschig und von seiner Arbeit herzhaft gelangweilt schleicht er sich durch sein Leben. Stets bemüht, Konflikten aus dem Weg zu gehen und Entscheidungen schön anderen zu überlassen, wird er jedoch im Laufe des Buches dazu gezwungen, über sich selbst hinauszuwachsen.
Mir persönlich gefiel Jelliby tatsächlich fast etwas besser als Bartholomew, welcher erst gegen Ende des Buches auf Betriebstemperatur kommt.
Die kunstvolle Verwebung dieser beider Handlungsstränge ist ebenfalls sehr beeindruckend. Immer wieder kreuzen sich die Wege Jellibys und Bartholomews, ohne dass sie es bemerken – bis man schon fast nicht mehr damit rechnet, dass sie zueinander finden. Auch sprachlich kann der junge Autor bereits eine große Fertigkeit aufweisen. Mit manchmal schon fast brutal wirkender Direktheit beschreibt er die Charaktere ohne schmückendes Beiwerk sondern in der Art, wie sie wirklich sind. Hässlich. Gefährlich. Dumm. Hinterlistig. Naiv. Ein sehr eigenwilliger Stil.
Mein Fazit: Mit diesem Roman feierte der damals 18-jährige Bachmann in seiner Heimat Amerika bereits große Erfolge. Ich kann nur von Glück sprechen, dass er seinen Weg nun auch in den deutschsprachigen Raum gefunden hat. Denn auch wenn der Roman als Jugendbuch angelegt ist, so finden Erwachsene sicherlich auch großen Gefallen an diesem Stück Literatur. Fantasy auf herrlich erfrischende Art. Leseempfehlung!
Die harten Fakten:
Stefan Bachmann – Die Seltsamen.
16,90 €
erschienen im Diogenes Verlag
ISBN: 978-3-257-06888-7
Es wird im Übrigen bereits im Herbst diesen Jahres die Fortsetzung erscheinen. Darauf freue ich mich schon sehr!
Ich bedanke mich beim Diogenes Verlag für die kosten- und bedingungslose Bereitstellung dieses Rezensionsexemplares!