Entwachsen.

Wann ist das denn nur passiert?

Seit wann fühle ich mich schon so? Seit wann schaue ich mich um, umgeben von Gleichgesinnten, Gleichdenkenden, Gleichfühlenden und fühle mich doch ganz anders? Seit wann erkenne ich nicht mehr den Sinn der ganzen Kleinigkeiten, für die ich früher so vieles gegeben habe, auf die ich früher so vieles gab? In welchem Moment schied ich aus dieser stillen Gemeinschaft aus und bin unbemerkt plötzlich ganz anders geworden? Habe ich überhaupt jemals dazu gehört?

Erwachsen. Pah. Wie das klingt. Das ist doch eigentlich nur Schikane, nur Augenwischerei. Erwachsen – so etwas gibt es nicht, kann es auch nicht geben. Denn schon das Wort allein ist irreal und unsinnig. Es verspricht etwas, was weder erstrebenswert noch möglich ist.
E und R. „Er-“. Diese zwei Buchstaben, diese eine kleine Silbe, will so viel bedeuten und macht damit so viel kaputt. Sie impliziert einen Abschluss. Als wäre man fertig, als sei man am Ziel. So etwas Bescheuertes. Wie kann ich denn etwas erreichen – da ist es übrigens schon wieder! – was es nicht gibt? Denn wie kann ich denn fertig werden mit einem Prozess, der gar nicht darauf angelegt ist, beendet zu werden. Er ist immer unfertig. Ich kann nicht erwachsen. Ich bin nicht erwachsen.
Ich bin höchstens entwachsen.
Diese Erkenntnis lässt mich schlucken und macht mich traurig, macht mir Angst. Ich bin meiner seelischen Heimat, meiner mentalen Zufriedenheit entwachsen. Entwachsen – das ist wie entlaufen oder entscheiden. Da war was und nachdem man etwas getan hat, ist es weg, ist alles anders. Ich bin mir selbst entwachsen. Und das, obwohl ich mir so sicher war, mich selbst gefunden zu haben. Offensichtlich war das ein Trugschluss, dem aber scheinbar nicht nur ich erliege, sondern eigentlich der Großteil der Gesellschaft. Sie verlassen sich darauf, dass sie erwachsen sind und sind in Wahrheit nur eines Zustandes entwachsen. Und so lange sie sich darüber nicht im Klaren sind, wissen sie auch nicht, dass sie auf der Stelle treten und noch nirgendwo angekommen sind. Arme Erwachsene.

In diesem Sinne ist es eigentlich ein Gewinn, dass ich weiß, dass ich nur entwachse. Aber damit einher kommen auch die Ungewissheit, das Sorgen und das Fragen. Das ist übrigens auch sehr „erwachsen“, nicht wahr? Man sorgt sich ständig, um alles und jeden. Die Zukunft ist ungewiss und man hat die Gabe verloren, sich einfach auf sie einzulassen. Also plant man. Man erstellt Plan A und zur Sicherheit noch Plan B bis F und plant so lange an den Plänen, bis man so zugeplant ist, dass keiner der Pläne sich noch wie geplant verwirklichen lässt. Man verlässt sich aber auf diese mentale Sicherheit. Man ist glücklich in seiner Verplantheit.
Ich neige auch dazu, das weiß ich. Das habe ich schon immer. Dieser Tatsache bin ich noch nicht entwachsen. Man kann es sich also nicht aussuchen, was man verliert und was man behält beim Wachsen. Schade. Das würde mir besser gefallen. Dann würde ich die Naivität mir nehmen, zusammen mit dem Urvertrauen, das ich einst besessen habe, bevor ich auf Menschen getroffen bin. Ich würde gerne wieder die Welt so schön und bunt sehen dürfen, wie ich sie einmal gesehen habe. Und dann würde ich es gerne für immer in diesem großen Gefäß namens Gehirn sicher ablegen und mir immer wieder anschauen, wie einen Schatz würde ich diese Bilder hegen und pflegen und in mir tragen. Doch man kann es sich nicht aussuchen. Wenn man wächst, dann muss man Platz machen für Neues und ausmisten. Schade, dass die wirklich wichtigen Dinge dabei verloren gehen und man nur noch weiß, man hatte sie mal, man hat sie aber nicht mehr. Die Erinnerung an eine Erinnerung ist einfach nicht das gleiche, wie die Erinnerung selbst.
Doch selbst wenn man weiß, dass es passiert, kann man es nicht verhindern. Denn man bemerkt es ja nicht. Ich habe es auch nicht bemerkt.

Wann ist das denn nur passiert?




ps: weil bereits besorgte Nachfragen kamen, ob es mir denn gut geht – ja tut es. Das hier ist kein Klagen und Jammern oder Ähnliches, sondern eine Übung im Schreiben. 
Schreiben war lange Zeit mein steter Begleiter und ist im Alltags des Studiums aber schon lange zu kurz gekommen. Ich möchte dieser Tatsache entgegen treten und ab und an mal wieder etwas verfassen. Und da ich nun schon lange Zeit diesen Blog unter dem Titel „Palans Welt“ führe und das Schreiben eigentlich ein Teil davon ist, möchte ich einige Dinge hier auch euch zeigen. 
Damit es nicht zu Irritationen kommt, werden diese Einträge zukünftig das neue Label „Schreibwerkstatt“ tragen. 
Ich hoffe, ihr ertragt solche Posts tapfer 😉   

4 Gedanken zu „Entwachsen.

    1. palandurwen Artikelautor

      Aww, danke schön ^^ das freut mich
      Ich dachte schon, ich hätte damit alle verprellt XD

      Der Text ist frisch verfasst – an meine älteren komme ich momentan ja nicht ran 😉
      Als wir darüber sprachen, habe ich mir überlegt, ich sollte wirklich mal wieder anfangen und habe das auch getan – und werde weiter machen ^^

      Ich freue mich wirklich, dass er dir gefällt 🙂
      *drück

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  1. loewe

    der text ist wirklich schön 😀 aber wenn man gemerkt hat, dass das erwachsen werden nicht erstrebenswert ist, kann man sich doch ändern. wir können die Welt wieder "so schön und bunt sehen", wenn wir nur erwachen. und das bist du beim schreiben dieses Textes 😀 Respekt, mach weiter so!!!

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