Kategorie-Archiv: Kritikfabrik

Bücher könnte ich regelrecht wegatmen. Wo ich geh und steh, finde ich immer eines, dem ich Obhut gewähren muss.

Meine Meinung zu denen. die mir gefallen haben, die ich verschlungen habe oder angewidert wieder beiseite legen musste – zu diesen Welten, die sich mir eröffnet haben und mich inspirierten oder bewegten, soll hier mit euch geteilt werden.

Elif Shafak – Ehre

Ihr Lieben!
Ich hatte mal wieder die Ehre, rechtzeitig bei Blogg dein Buch am richtigen Platz zu sein und habe somit ein schönes neues Buch zum rezensieren bekommen. Ganz besonders groß war mein Interesse an diesem Werk, da es von einer türkischen Autorin stammt und ich ja nun durch meinen Türkischunterricht näher mit dieser Ethnie in Verbindung getreten bin. Da bei mir Kultur aber auch immer durch Literatur vermittelt wird, war ich sehr gespannt, was mir Elif Shafaks Roman „Ehre“ so alles zwischen den Zeilen mitteilen würde.

„Meine Mutter starb zwei Mal. Ich habe mir geschworen, ihre Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, habe aber nie die Zeit oder den Willen oder den Mut aufgebracht, sie niederzuschreiben. Bis vor Kurzem. (…) Diese Freiheit war ich Mum schuldig. Und ich musste noch dieses Jahr fertig werden, noch vor seiner Entlassung aus dem Gefängnis.
(…)
Ich werde ihm sein Zimmer zeigen und langsam die Tür schließen. Ich werde ihn dort allein lassen. In einem Zimmer in meinem Haus. Nicht zu nah und nicht zu fern. In diese vier Wände werde ich ihn einsperren, zwischen dem Hass und der Liebe, die ich empfinde, ob ich will oder nicht, und die für immer in einem Kästchen in meinem Herzen verschlossen sind.
Er ist mein Bruder.
Er, der Mörder.“

Die Zwillingsschwestern Pembe und Jamila verbingen in einem abgelegenen, kurdischen Dorf ihre Kindheit ungetrennt und stets eng miteinander verbunden. Doch das Schicksal treibt die beiden Mädchen im Erwachsenenalter auseinander. Während Jamila unabsichtlich in ein Leben als „ewig jungfräuliche Hebamme“ gleitet, wird Pembe aus ihrer Heimat fortgeweht – weiter, als sie es sich in ihrem Fernweh jemals erträumt hat: nach London. 
Dort versucht sie mit der neuen Kultur, den anderen Sitten und den lauernden Gefahren einer fremden Welt fertig zu werden und gleichsam ihre drei Kinder aufzuziehen. Doch während sie selbst als Kind gegen die Strenge ihrer Familie angekämpft hat, driftet sie nun als Mutter selbst in ein solches Verhalten ab. Mit katastrophalen Folgen! Denn gerade als Pembe versucht, sich aus der misslichsten Lage ihres Lebens – neues Land, neue Sprache, Dasein als Alleinerziehende Mutter – mit Hilfe eines neugewonnenen Freundes zu erheben, da spielt das Schicksal ihr erneut einen grausamen Streich und ihre Vergangenheit holt sie ein. 

„Ehre“ ist das leitende Motiv, welches sich auf vielschichtige Weise durch die gesamte Erzählung zieht. Während wir Europäer darunter etwas spirituelles und sehr ambivalentes verstehen, scheint es aus unserer Sicht in der türkisch-islamischen Kultur eher ein Begriff der Keuschheit und Jungfräulichkeit zu sein – etwas, dass lediglich den Frauen auferlegt wird, wie ein Zwang und aufgrund dessen Frauen, die um ihre Freiheit kämpfen, stets vom Tode bedroht oder schließlich auch davon eingeholt werden. So zumindest unsere Annahme.
Doch Elif Shafak zeichnet in ihrem Roman ein viel weiteres Bild, ein umfassenderes Gefühl, was es mit diesem Wort auf sich hat. Bereits Pembe und Jamilas Mutter Naze ist tief durchdrungen davon. Für sie ist es eine große Qual ihrem geliebten Ehemann keinen Sohn geschenkt zu haben, sondern nur acht Töchter. Der Gram, den sie empfindet, als die Zwillinge das Licht der Welt erblicken, scheint sich wie ein unsichtbares Tuch auch über Pembe gelegt zu haben – empfindet sie doch in England ähnliche Schuldgefühle, als sie beginnt sich über ihre Tradition hinwegzusetzen und ein neues Leben anzufangen. Stets begleiten sie Schuldgefühle, befleckt sie dadurch doch ihre und die Ehre ihrer Familie. Und das, obwohl sie aus unserer Sicht alles Recht dazu hat – betrügt und verlässt ihr spielsüchtiger Mann sie doch. Aber Pembe kann sich nicht lösen. Und auch ihr Sohn Iskender, den sie zu einem ehrenhaften Mann heranziehen will, kommt von diesem Weltbild nicht los. Er wird davon getrieben, die Rolle des Mannes im Haus einzunehmen. Und auch, wenn es den Jungen fast umbringt, so fühlt er sich doch dazu verpflichtet, seine Mutter zu beschützen, sie auf den rechten Weg zurückzubringen und die Ehre zu verteidigen. Mit welchen Mitteln auch immer.
Shafak zeigt Figuren, die sehr klar und nachvollziehbar beschrieben werden. Es sind Menschen aus einer anderen Kultur und doch wird ihr Innerstes deutlich, man meint zu verstehen. Jeder der Handelnden darf seine Sicht darlegen. Es entsteht ein Geflecht aus Erinnerungen, Momentaufnahmen, größeren und kleineren Strängen, die schließlich alle an einem Punkt zusammenlaufen und im Hier und Jetzt münden. In dem Moment, als Er wieder frei ist. Und als seine Mutter gestorben ist. Zweimal. 
Sprachlich besticht der Roman durch ungewöhnlich Bilder und Vergleiche. Er liest sich sehr angenehm und flüssig, die wenigen türkischen oder kurdischen Begriffe sind sogar in einem Glossar erklärt. 

Mein Fazit: Ich bin mit dem Gedanken an das Buch herangetreten, wirklich harte Kost vor mir zu haben, wahrscheinlich getränkt in Hass und Leidenschaft, Blut und Ehre. Doch gefunden habe ich einen spannenden Teppich, bei welchem alle Fäden nebeneinander laufen, sich ab und an kreuzen und zusammen ein Bild ergeben, welches so kostbar und zierlich ist, dass ich ganz überrascht davon bin. Selbst die Täterfigur Iskender ist für mich ein Sympathieträger, während die Hauptfigur Pembe mich teilweise schon mit ihren Schuldgefühlen erdrückte. Man möchte sie am liebsten wachschütteln und warnen, gleichzeitig aber auch beschützen. Insbesondere der jüngste Sohn Yunus und die Schwester Jamila sind mir beim Lesen jedoch ans Herz gewachsen. Beides sehr faszinierende und schöne, offene Charaktere. Um so mehr hat mich allerdings das Ende überrascht!
Außerdem hat mich noch die Art und Weise der Grundmentalität tief beeindruckt. Sie besagt, man solle die Menschen, die Natur, ja die ganze Welt so nehmen, wie sie ist – Gott hat sich dabei etwas gedacht. 
Mit diesen Eindrücken im Gepäck kann ich für „Ehre“ eindeutig eine Empfehlung aussprechen. Denn, auch wenn Ehrenmorde furchtbar sind, so wird hier eine andere Sicht gezeigt und es bleibt kein Hass oder keine Blutgier, keine Aggression, sondern lediglich Trauer, Nachdenklichkeit und auch Liebe. Man taucht in eine andere Welt ein, sieht die eigene mit fremden Augen und geht schließlich mit einem neuen, tiefgehenderen Verständnis und Mitgefühl aus den Buchseiten hervor.
Wer sich ebenfalls darin umsehen möchte – das Buch bekommt man beispielsweise hier.

Die harten Fakten:

Elif Shafak – Ehre.
24,90 €
ISBN: 978-3-0369-5676-3  


Ich
bedanke mich bei blogg dein buch und dem Kein & Aber-Verlag für die kosten-
und bedingungslose Bereitstellung dieses Rezensionsexemplares!

Die Analphabetin, die rechnen konnte

Jonas Jonasson – Die Analphabetin, die rechnen konnte

Ihr Lieben!
Ich hole gerade ja ein bisschen auf, was meine Rezensionsexemplare angeht. Das inzwischen letzte, welches noch aussteht, habe ich nun gestern beendet und muss meine Meinung dazu sofort mit euch teilen. Denn so viel kann ich euch schon an dieser Stelle verraten: Die Medien übertreiben – meiner Meinung nach zumindest – nicht, wenn sie Jonas Jonassons Zweitlingswerk „Die Analphabetin, die rechnen konnte“ vollmundig loben!

„Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass eine Analphabetin im Soweto der Siebziegerjahre aufwächst und eines Tages mit dem schwedischen König und dem Ministerpräsidenten des Landes in einem Lieferwagen sitzt, liegt bei eins zu fünfundvierzig Milliarden siebenhundertsechsundsechzig Millionen zweihundertzwölftausendachthundertzehn. Und zwar nach den Berechnungen eben dieser Analphabetin.“

Eben jene Analphabetin heißt Nombeko und ist eigentlich nur Latrinentonnenträgerin. Dank ihres klugen und fast schon respektlosen Auftretens und ihrer wahnsinnig guten Auffassungsgabe samt höcht phänomenalem Rechengenie gelingt es ihr jedoch, sich aus dieser Lage zu befreien. Bis sie plötzlich von einem betrunkenen Ingenieur überfahren wird. Als Belohnung dafür darf sie ihre Strafe – sie als Schwarze hätte ja gar nicht diesen Bürgersteig benutzen dürfen – im hochgeheimen Zentrum für den Bau nuklearer Sprengwaffen Südafrikas als Putzkraft bei eben jenem Ingenieur abarbeiten. 
Schnell zeigen sich die Talente der jungen Frau, was auch der obligatorisch betrunkene Ingenieur bemerkt. Sein einziges Talent wiederum ist es, andere Leute für sich arbeiten zu lassen, um daraufhin deren Lorbeeren für sich einzustreichen. So auch hier – bis es plötzlich eine Atombombe zu viel gibt und diese verschwinden muss. Nombeko weiß sich jedoch auch in dieser Lage zu helfen und stolpert just in die Weltpolitik hinein, als sie versucht, dem Mossad eben jene überzählige Atombombe als Tauschhandel für ihre sichere Ausreise in ein Land, welches kein Stück mit der Apartheid zu tun hat – nach Schweden – anzubieten. Doch das Leben kann nicht immer berechnet werden und so führen zahllose widrige Umstände die junge Asylantin zwar in die Arme eines Mannes namens Holger, welcher sich als ihre große Liebe herausstellen soll – aber gleichzeitig auch in immer wieder neue abstruse Situationen, die ein von ihr so sehr gewünschtes normales Leben einfach schier unerreichbar machen. 
Als sie sich schließlich gemeinsam mit dem schwedischen König und dem Ministerpräsidenten im Laderaum eines Kartoffellasters wiederfindet, scheint alles endgültig den Bach hinunter zu gehen. Doch Nombeko ist eben die, die sie ist.

Und was sie für eine ist. Ihre Figur ist so herrlich bodenständig und dabei respektlos und doch klug den Großen und Kleinen der Welt gegenüber, dass es eine wahre Wonne ist, sie auf ihrer turbulenten Reise zu begleiten. Dass sie dabei spielerisch leicht in der Weltpolitik und im Weltgeschehen agiert, ist wirklich spannend zu verfolgen. Zumal dabei auch unterschwellig-offenkundig mit Themen wie Rassismus oder Umweltschutz abgerechnet wird. Inwiefern die tatsächlich passierten geschichtlichen Fakten dabei ein wenig gedehnt oder verändert wurden, kann ich leider nicht einschätzen – jedoch interessierte mich das beim Lesen tatsächlich keinen Deut. Viel zu sehr hing ich an Nombekos Lippen, wenn sie mal wieder einen bissigen Kommentar abließ. Viel zu sehr bewunderte ich ihre nüchterne und schnelle Art zu denken, um sich auch aus den aberwitzigsten Situationen wieder freizustrampeln. Und auch die anderen Figuren sind von Jonas Jonasson unglaublich bunt und plastisch dargestellt worden. Selbst kleine Randfiguren bekamen noch eine kleine Lebensgeschichte auf den Leib geschneidert, so dass alles zusammen ein großes Mosaik ergab, so abwechslungsreich und verworren, dass es wirklich prachtvoll anzuschauen ist.Besonders nett finde ich auch, dass zahlreiche Details später nochmals aufgenommen und unauffällig nebenbei wieder eingeflochten werden.
Sprachlich liegt Jonasson ebenfalls absolut auf meiner Wellenlänge: Mit viel Humor und Ironie, fast schon unschuldig verpackt besticht der Autor meine literarischen Geschmacksknospen und brachte mich erfolgreich zum lauthalsen Loslachen oder Prusten.
Einzig gegen Schluss war mir leider eine Wendung in der Handlung ein wenig zu viel. Einmal weniger hätte Jonasson seine Protagonistin in der Patsche sitzen lassen können, denn die letzte war mir einfach zu viel. Dort wurde mir der Witz einmal zu oft durchgekaut und dadurch eher nervig. Aber gut, das mag vielleicht auch Geschmackssache sein. Ähnlich wie das Ende, was mir ab einem Punkt einfach zu glatt lief und ein ganz klein wenig mir zu sehr im Friedefreudeeierkuchen-Land ankam. Aber auch hier ist es wohl einfach eine persönliche Vorliebe und schön war das Ende trotzdem.

Mein Fazit: Eine absolute Kaufempfehlung! Das Buch vereint eine spannende und innovative Geschichte mit herrlichen, ausgefeilten Figuren und einem ordentlichen Schuß Humor. Ich weiß ja nicht, ob sein Vorgänger „Der Hundertjährige…“ auch so ist, aber ich werde ihn auf jeden Fall kaufen und auch lesen. Jonas Jonasson hat einen neuen Fan bekommen! 

Die harten Fakten:

Jonas Jonasson – Die Analphabetin, die rechnen konnte
19,99 €
carl’s books
ISBN: 978-3-570-58512-2

Ich
bedanke mich an diese Stelle bei der PR-Stelle des carl’s books Verlags
für das kosten- und bedingungslose Rezensionsexemplar!

Fünf Leute, fünf Euro, ein Tag

Stefania Rossini – Fünf Leute, fünf Euro, ein Tag.

Ihr Lieben!
Auch im neuen Jahr fahre ich natürlich mit meiner Leidenschaft zu Lesen und hemmungslos darüber zu schwadronieren fort. Inzwischen bin ich sogar bei der Community „Blogg dein Buch“ angemeldet, bei welcher man sich für ein Buch bewerben kann. Und siehe da – für meinen ersten Wunschtitel bin ich auch gleich vom Verlag ausgesucht worden und möchte nun hier meine Rezension zu Stefania Rossinis „Fünf Leute, fünf Euro, ein Tag“ mit euch teilen.
„Dieser praktische Ratgeber wurde vor allem für jene Menschen geschrieben, die auf ihren Geldbeutel achten müssen, denen ihre Gesundheit und ein gesunder Zustand unseres Planeten am Herzen liegt, die sich nicht mit Worten, sondern nur mit Taten zufrieden geben, die ihr Leben bewusst verändern wollen: vom hochkomplexen Lebensstil hin zu einem immer einfacheren Alltag. Ich möchte mir in keiner Weise anmaßen, dass meine Anregungen die Antwort auf die Probleme aller sind. Mein Buch ist ganz einfach die Sammlung von Ratschlägen einer Hausfrau, die diese tagtäglich umsetzt. Nichts mehr und nichts weniger. Dieses Werk kann jene Menschen anregen, die Augen haben, um zu sehen, Ohren, um zu hören, Hände, die sie gebrauchen wollen, einen Kopf der denken kann, und ein Herz, das fühlt.“
Mit diesen Worten leitet die Autorin Stefania Rossini, eine italienische Bloggerin und dreifache Mutter, ihr kleines schmales Büchlein ein, in welchem sie versucht zu beschreiben, wie man einfach glücklich leben kann. Nach einer kurzen Einführung und Einstimmung in die Thematik sowie einer knappen Autobiografie, um dem Leser ihren eigenen Weg noch etwas besser darstellen zu können, beginnt Rossini damit, in elf Kapiteln Rezepte jenseits des sinnlosen Konsums, wie sie es selbst beschreibt, zu teilen. Man findet zu allen häuslichen Bereichen Anregungen – von Reinigungsmitteln über Kosmetik und Kleidung bis hin zu Kochrezepten. Dazu versucht sie zahlreiche Anregungen für Tauschhandel, Kinderspiele oder auch für das Sparen selbst zu geben. 
In ihren Texten spricht die Autorin davon, dass es ihr wichtig ist, den Blick der Leser zu schärfen und sie zum ständigen Überdenken ihrer Entscheidungen zu bewegen. Die Gründe, die sie oft und zahlreich dafür anführt (weniger Müll, Gesundheit, Umweltbewusstsein usw.) sind wahr und richtig, allerdings hatte ich beim Lesen leider den Eindruck, dass sie nicht wirklich neue Perspektiven eröffnet hat. Denn, dass man durch weniger Konsum auch Verpackungsmüll vermeidet, erscheint mir doch recht naheliegend. 
Ihre Aussage, dass hingegen nicht jedes Selbstmachen immer gleich besser ist, finde ich wieder sehr gut und auch wichtig. Denn wie bereits das Beispiel mit den Waschnüssen zeigte, muss das ganzheitliche Denken von vielen erst noch erlernt werden. Und wie die Autorin selbst sagt – Spülmittel eingenhändig herstellen ist zwar schön, wenn die dafür nötigen Zitronen aber bereits so teuer sind, dass man davon drei Flaschen konventionelles Spüli hätte kaufen können, ist es nicht wirklich sinnvoll. Dieser Ansatz hat mich wieder begeistert und ich war sehr begierig auf die Rezepte und Ideen.
Leider wurde ich hier erneut etwas ausgebremst in meiner Begeisterung. Während die Tipps und Anleitungen für zahlreiche Putzmittel und Kosmetika für mich tatsächlich noch überwiegend neu waren, verlor sich der Sensationscharakter leider in den folgenden Kapiteln immer mehr. Von dem Kapitel zur Thematik des Kleiderselbermachens hatte ich mir beispielsweise wirklich mehr als lediglich zwei Seiten erhofft, auf denen vermerkt steht, dass man doch überdenken soll, ob man von alten Stücken nicht noch einen Knopf abtrennen könnte, bevor man sie wegwirft. 
Auch der Abschnitt zur Küche ist für mich etwas unausgegoren. Denn während an einigen Stellen für meinen Geschmack schon fast Eulen nach Athen getragen werden (zu viel gekochte Pasta kann in einem anderen Gericht wieder verwendet werden? Was denn sonst? Ich hoffe, das wird in Italien nicht im Normalfall entsorgt…), verschweigt die Autorin an anderer Stelle wiederum meiner Meinung nach wichtige Informationen. Denn sicherlich können die Schalen von Orangen und Co getrocknet und kleingemahlen werden, um sie an Speisen für ein spannendes Aroma zu geben. Allerdings sollte dafür doch der weiße Teil entfernt werden, denn der ist bitter. In einem später folgenden Rezept führt sie das selbst an – in dem hier erwähnten Tipp allerdings nicht. Fraglich finde ich auch, ob bei selbstgemachtem Obstsaft auf 2,5 kg Obst tatsächlich 500 g Zucker nötig sind. Mich als Vegetarierin freute allerdings sehr, dass alle Rezepte vegetarisch sind.
Wiederum schade ist, dass Rossini leider ihrem eigenen Ansatz gelegentlich widerspricht – wenn sie beispielsweise erwähnt, dass aus 500g frischer Sahne durch ausgiebiges Schlagen Butter wird – ist es nicht finanziell wieder unsinnig, erst Sahne einzukaufen? Ähnliches gilt beim selbstgemachten Tofu – hier müssen Sojabohnen vorhanden sein. Vielleicht bekommt man solche in Italien sehr günstig – ich kenne sie aus deutschen Supermärkten leider nicht. 
Meine Begeisterung kehrte im nächsten Teil zum urbanen Gemüsegarten kurzzeitig wieder, denn hier gibt sie wirklich schöne Anregungen und Tipps – allerdings verging mir dieser Moment des Aufatmens just in dem Augenblick, als ich im darauffolgenden Kapitel „Von allem etwas“ lesen musste, dass gegen Ungeziefer bei Haustieren ein Sud aus Wasser, Brennesseln und Thymian angesetzt werden solle, in welchen abschließend das Tier gesteckt werden sollte. Im Anschluss daran sollte noch eine Mischung aus ätherischen Ölen aufgetragen werden. Zwar nur in geringen Maßen und ausschließlich entlang des Rückgrats – aber meine Katze kommt beim Putzen selbst dort noch an. Zudem finden die wenigstens Haustiere es wirklich schön, in eine Wanne mit Wasser gesteckt bzw. generell gebadet zu werden. Für viele bedeutet das unermesslichen Stress. Diesen Tipp finde ich also leider wirklich grenzwertig bis sogar gefährlich. 
Die letzten Kapitel empfand ich persönlich wieder als etwas redundant. Dass man besser sparen kann, wenn man eine Einkaufsliste befolgt und nach den Kilo-Preisen schauen sollte, ist für mich selbstverständlich. Ähnlich, dass nach einem Einkauf die neuen Produkte nach hinten im Regal geräumt werden. Auch in Sachen Strom, Gas und Wasser waren für mich viele bereits allgemein bekannte Regeln wieder aufgewärmt: Duschen spart mehr Wasser als Baden. Elektrogeräte sollten nicht im Standby-Modus belassen werden. Lege einen Deckel auf deinen Topf, damit das Essen schneller gar wird. Alles wahr und richtig und vielleicht wirklich noch mal schön, wenn es genannt wird – aber das alleine? 
Mein Fazit: Man merkt es schon, so ganz glücklich bin ich mit dem Buch nicht. Auf der Pro-Seite muss vermerkt werden, dass viele gute Anregungen auf den Seiten stehen und tatsächlich auch für mich noch ein, zwei Aha-Momente dabei waren. (Ich werde beispielsweise Natron in meine Putzgewohnheiten einbinden – tolles Zeug angeblich). Zudem finde ich die Frau recht sympathisch vom Schreiben her. 
Allerdings sind mir persönlich diese lichten Momente einfach zu wenig gewesen. Für mich gab es nicht viel Neues, zahlreiche Sachen sind meiner Meinung nach einfach selbstverständlich. Eventuell liegt es daran, dass ich mich in diesem Bereich bereits lange Zeit bewege und somit auch etwas auskenne – ich stelle also vielleicht nicht das richtige Zielpublikum dar. Jemand, der sich wirklich noch gar nicht mit dieser Thematik beschäftigt hat, kann zwischen diesen zwei Buchdeckeln vielleicht wirklich eine ganz neue Welt entdecken.
Somit gebe ich keine 100% Kaufempfehlung, sondern nur eine eingeschränkte. Denn es wird dem Sinn gerecht, es lenkt den Blick auf viele wichtige Themen – allerdings eben auf bereits meiner Einschätzung nach hinlänglich bekannte.Reinschauen lohnt sich aber – ihr bekommt es zum Beispiel hier.
Die harten Fakten: 
Stefania Rossini – Fünf Leute, fünf Euro, ein Tag. 
9,95 €
ISBN: 978-3-89901-725-0
Ich bedanke mich bei blogg dein buch und dem Lüchow-Verlag für die kosten- und bedingungslose Bereitstellung dieses Rezensionsexemplares! 
Malavita

Tonino Benacquista – Malavita

Ihr Lieben!
Nachdem nun die Masterarbeit abgegeben und der Umzug geschafft ist, habe ich heute endlich mal wieder etwas Ruhe, um mein schon seit einigen Tagen fertig gelesenes Buch für euch zu rezensieren. Es wurde leider einige Zeit sträflich vernachlässigt – aber wenn das echte Leben ruft, muss diesem erstmal gefolgt werden. Jetzt habe ich den Roman jedoch endlich beendet und möchte euch nun Tonino Benacquistas „Malavita“ präsentieren:
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Im Schutz der Dunkelheit nahmen sie das Haus in Besitz. Eine andere Familie hätte in der Situation einen Neubeginn gesehen. Den Start in ein neues Leben in einer neuen Stadt. Den Anbruch eines neuen Tages, des ersten in einem neuen Lebensabschnitt. Kurzum, etwas Außergewöhnliches – nichts, was man in rabenschwarzer Nacht vollbrachte. Die Blakes jedoch zogen ein, wie manch anderer auszieht, wenn er sich vor dem Zahlen der Miete drücken will: bloß keine Aufmerksamkeit erregen. 
Denn das ist die einzige Möglichkeit, wie sich Vater Fred, Mutter Maggie und die beiden Kinder Belle und Warren schützen können – schützen vor ihrem alten Leben, schützen vor den Konsequenzen, die eine Entscheidung des Vaters nach sich ziehen, schützen vor der New Yorker Mafia. In Wahrheit verbirgt sich nämlich hinter dem vermeintlichen amerikanischen Schriftsteller Fred Blake, der ein Buch über die Landung der Alliierten in der Normandie schreibt, einer der großen Bosse der Cosa Nostra namens Giovanni Manzoni, welcher mit seiner Familie im Rahmen des Zeugenschutzprogrammes vom FBI in eine unscheinbare französische Kleinstadt verfrachtet wurden. 
Derart entwurzelt fällt es der Familie nicht leicht, wieder Fuß zu fassen: Maggie versucht als Wohltäterin in der Gemeinde Abbitte zu leisten, ihr Sohn Warren tritt derweil unentdeckt, aber doch erfolgreich in die Fußstapfen des Vaters und wird eine Art Pate auf dem Schulhof. Seine Schwester Belle – eine wahre Schönheit, welche sofort allen den Kopf verdreht – wendet ihre Vorzüge ebenfalls erfolgreich an, um sich zurecht zu finden. Lediglich Fred kann sich mit der Situation, die er ja selbst verschuldet hat, nicht abfinden. Und obwohl drei FBI-Agenten stets bemüht sind, den Ex-Mafia-Boss unter Kontrolle zu halten, gelingt es Giovanni Manzoni doch immer wieder hervorzukommen und Unruhe zu stiften. Dass die Tarnung also nicht lange hält, ist nicht weiter verwunderlich…
Ich habe mich auf diesen Roman sehr gefreut, wurde er doch von Kritikern vollmundig gelobt, als intelligent, witzig, temporeich und voller schwarzem Humor. Klingt wie gemacht für mich – allerdings muss ich ehrlich sagen, habe ich genau diese Attribute irgendwie auf den 304 Seiten nicht wirklich ausfindig machen können. Leider, wie ich finde, verspricht doch der Plot so viel! Denn das muss man dem Buch lassen: Die Figuren sind eigentlich sehr rund und interessant. Gerade Fred, der es nicht einsieht, dass er nicht das Opfer, sondern der Schuldige ist. Es wird viel Input in ihn gelegt – das jedoch meiner Meinung nach noch nicht erschöpfend genutzt wird. Seine psychologische Unausgeglichenheit und sein Sturkopf, die Situation anzunehmen, werden zwar angedeutet, aber es hätte noch viel weitreichender und feiner gezeigt werden können. Da kommt seine Frau Maggie schon wesentlich voller daher. Ihre emotionale Lage wird gut nachvollziehbar gestaltet. Wenn sie nach einer erneuten ärgerlichen Situation eher die Nähe zu den FBI-Agenten im Haus gegenüber sucht, als sich mit ihrem Ehemann auszusprechen, dann zeigt es den in ihr tief gehegten Groll ihrem Mann gegenüber. Ähnlich rund kommt auch der Sohn daher, welcher den Namen Manzoni wieder reinwaschen will und die Fehler seines Vaters wütend betrachtet, aber seinem ehemaligen Glanz einfach nicht widerstehen kann. Etwas blass jedoch bleibt schließlich die Tochter. Ihre innere Situation wird nicht ganz klar, sie bleibt meiner Meinung nach etwas oberflächlich. 
Und dann? Dann plätschert der Roman so vor sich hin. Die Handlung bietet vieles an, das Potential wird jedoch nicht genutzt. Ich musste kein einziges Mal wirklich lachen, ich habe mich durch manche Kapitel regelrecht durchgequält, da ich sie einfach nicht amüsant und auch kein Stück temporeich empfand. Sprachlich ist es okay, aber nicht sonderlich raffiniert. Und leider Gottes trat mal wieder das ein, was ich oft beim Lesen oder Fernsehen habe: Ich wusste am Anfang eines Kapitels schon, was passieren würde. 
Nicht gerade spektakulär, sondern einfach nur irritierend fand ich das Ende. Denn während die zwischendrin eingeschobenen Passagen der von Fred verfassten Memoiren ganz nett sind, ist der scheinbar ebenfalls von ihm verfasste Erinnerungstext des letzten Kapitels einfach nur seltsam, da man nicht weiß, warum er das jemals aufgeschrieben hat. Es ist mir persönlich zu zusammenhangslos. Eine wirklich schöne Entwicklung am Ende ist jedoch die des Sohnes. Das hat mich beim Lesen tatsächlich gefreut.
Mein Fazit: Schlecht ist der Roman nicht. Allerdings muss ich ehrlich sagen, dass ich ihm auch nicht das Prädikat „gut“ oder „amüsant“ geben kann. Bei mir reicht es leider nur zu einem „nett“. Ich bereue es nicht, Benacquistas Werk gelesen zu haben, glaube aber, dass der Roman einiges verschenkt hat. Schade. Vielleicht holt der Kinofilm ja noch ein wenig raus – der läuft seit einigen Wochen bereits und die Besetzung ist eigentlich sehr hochklassig. Mal schauen.
Hier die harten Fakten:
Tonino Benacquista – Malavita.
14,99 Euro
erschienen im carl’s books Verlag
ISBN: 978-3-570-58528-3
Ich bedanke mich an diese Stelle bei der PR-Stelle des carl’s books Verlags für das kosten- und bedingungslose Rezensionsexemplar!

Francoise Dorner – Die letzte Liebe des Monsieur Armand

Ihr Lieben! 
Zum Wochenende gibt es zur Abwechslung mal wieder eine kleine Buchbesprechung. Für den Urlaub hatte ich mir ja einiges zu lesen mitgenommen. Neben dem bereits rezensierten „Metamorphose am Rande des Himmels„, wollte ich auch ein Buch unbedingt haben, welches ich einige Wochen zuvor per Zufall im Buchgeschäft gesehen hatte. Ich ließ es zwar da, weil ich noch genug anderes zu rezensieren hatte, aber so wirklich aus dem Kopf wollte es mir nicht gehen. Also kurz vor knapp nochmal Amazon strapaziert und quasi zwei Tage vor der Angst kam es dann an: Francoise Dorners „Die letzte Liebe des Monsieur Armand“:

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„Im 82er habe ich sie zum ersten Mal gesehen. Sie saß mir, im hinteren Teil des Busses, gegenüber und schaute gedankenverloren zum Fenster hinaus. Sie war nicht wie andere Mädchen ihres Alters. Während ich mich zum Aussteigen bereit machte, erlaubte ich mir einen Blick auf ihren Nacken und sah,daß sich aus ihrem Haarknoten eine kleine Strähne gelöst hatte. Da hielt der Bus mit einem Ruck, und ich wurde gegen einen Mann geschleudert, der mich anblaffte: ‚Passen Sie doch auf!‘ Ich schlug mit dem Kopf gegen die Haltestange, mir entglitt mein Stock, und er fiel dem jungen Mädchen in den dunkelblauen Faltenrock. Als sei nichts dabei, nahm sie ihn einfach, gab ihn mir, und wir stiegen zusammen aus. 
Auf dem Trottoir fragte sie mich: ‚Geht es wieder? Oder soll ich Sie nach Hause bringen?‘ Noch benommen vom Aufprall, wußte ich nichts zu sagen; daß sich jemand um mich kümmerte, war ich nicht mehr gewohnt. (…) Ich nickte dankbar, und wir gingen nebeneinanderher, langsam, nur das Klacken meines Stocks begleitete unsere Schritte. Ich suchte nach Worten, einer unverfänglichen, höflichen Frage, doch fielen mir, aus der Übung geraten, nichts als Floskeln ein.“

Während der Philosoph im Ruhestand Armand sein Leben nur noch zu ertragen scheint, hat das von der jungen Pauline noch gar nicht wirklich angefangen, und doch ähnelt sie dem alten Herrn, den sie zufällig im Bus kennenlernt, erstaunlich stark. Diese Vertrautheit erkennt auch Armand und beschließt, für einen letzten Versuch seine um sich errichtete Höhle aus Selbstschutz, Trauer um seine verstorbene Frau und Frust wegen seiner undankbaren Kinder zu verlassen. Doch Pauline ist noch zu sehr mit ihrer nüchternen und berechnenden Art durchs Leben zu gehen beschäftigt, so dass sie die Gefühle ihrer neuen Bekanntschaft nicht wahrnimmt und ihn damit unbeabsichtigt zutiefst kränkt. Vom Leben in seinen Augen also erneut vor den Kopf gestoßen zieht Armand die einzige für ihn logische Konsequenz: Wenn die Welt ihn nicht mehr braucht, brauch er sie auch nicht mehr! 
Doch sein Selbstmordversuch missglückt und sowohl sein Sohn als auch Pauline beginnen sich ernsthaft Sorgen um den alten Herrn zu machen. Und während Armands leibliches Kind noch im vorwurfsvollen und verständnislosen Grollen erstarrt ist, fasst Pauline den Entschluss, dass dieser Mann der erste Teil ihrer neuen, selbst zusammengestellten Familie werden soll: Sie adoptiert ihn als ihren Großvater. Gemeinsam geht das ungewöhnliche Paar nun einen Weg, den sich beide wohl nie erträumt hatten – zurück ins Leben… 

Natürlich ist es wieder ein moderner, französischer Roman, der mein Herz bewegt hat. In dieser einzigartigen Art und Weise, wie eigentlich fast nur Franzosen schreiben können – so detailliert, so kleinteilig, so berührend, sanft, ohne erdrückend zu sein, mehr ein Streifen, ein beiläufiger Kontakt, der noch lange nachklingt – so schreibt auch die Autorin über diese ungewöhnliche Zusammenkunft. Mal aus der Perspektive des Armands, mal aus der Sicht der Pauline, so dass sich ein interessantes und einfühlsames Puzzel aus deren Beziehung ergibt. Was ihn kränkt, nimmt sie gar nicht wahr; was ihm unangenehm ist, wirkt auf sie normal. Doch nicht nur diese beiden sind gut ausgeformt – jeder Charakter hat so seine Züge bekommen und komplementiert ihre Welt. 
Die Sprache ist typisch französischer Stil, in dem ich mich ja doch immer gerne verliere. Und auch wenn das Ende überraschend kommt und ich mir hier wieder mal verstohlen eine kleine Träne aus dem Augenwinkel wischen musste, denke ich, dass es gut so ist, wie es gekommen ist. 
Mein Fazit: Eine Geschichte, die jenseits von Begierde oder gezwungenen familiären Zusammenhalt von einer Beziehung, ja einer Liebe berichtet, die tiefer geht, als das normale zwischenmenschliche Miteinander. Ein sehr hübscher und lesenswerter Roman, der übrigens auch verfilmt wurde („Mr. Morgan’s Last Love“ – mit Michael Caine!!) und den ich mir sicher anschauen werde.
Die harten Fakten:
Francoise Dorner – Die letzte Liebe des Monsieur Armand.
7,90 €
erschienen im Diogenes Verlag
ISBN: 978-3-257-23903-4

ps.: das ist übrigens mein 400. Post!!! *yay ^^

Metamorphose am Rande des Himmels

Mathias Malzieu – Metamorphose am Rande des Himmels

Ihr Lieben!
Bereits vor Monaten habe ich es im Verlagsprogramm unter den Neuerscheinungen entdeckt und auf den Tag hingefiebert, an dem ich es endlich niegelnagelneu in den Händen halten durfte: das neue Werk von Mathias Malzieu. Erinnert ihr euch? Vor einiger Zeit hatte ich euch doch „Die Mechanik des Herzens“ vorgestellt. Das hier ist der Nachfolger, der sich in keiner Weise verstecken muss! Kommt mit und schaut euch Mathias Malzieus „Metamorphose am Rande des Himmels“ an:
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Ich heiße Tom ‚Häma-Tom‘ Cloudman. Man sagt, ich sei der schlechteste Stuntman aller Zeiten. Ganz falsch ist das nicht. Ich bin außergewöhnlich ungeschickt und laufe ständig überall gegen. Ich beneide die Vögel um ihre Freiheit, vielleicht schaue ich zu oft zu ihnen hoch. Schon damals auf dem Schulhof zog ich Rollschuhe an, um fliegen zu üben und den unerreichbaren Miniaturfrauen einen Kuss zu entlocken. Aber ich flog nicht hoch, sondern immer nur auf die Nase. Allerdings überkam mich beim kleinsten Anzeichen, dass sich ein Publikum für meine Darbietung interessierte, ein ebenso albernes wie grandioses Gefühl der Unbesiegbarkeit. Ich wurde regelrecht süchtig danach (…)
Der Drang, dem Alltag zu entfliehen, wurde mit den Jahren immer stärker. Mein Verstand reagierte wie ein gefühlsempfindlicher Film, der in derselben Sekunde Liebe und Tod empfängt. Ich entwickelte eine regelrechte Normalitätsphobie. (…) 
Ich musste einen Weg finden, ein nützliches Mitglied der Gesellschaft zu werden und meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Warum nicht mit Straßentheater und Bruchlandungen? Geschichten erzählen, Akkordeon spielen, springen, singen, mit etwas Glück fliegen, mit Sicherheit fallen, Kunststücke vorführen. Losziehen. Jetzt gleich. 

Fliegen ist einer der am längsten gehegten Menschheitsträume. Frei sein wie ein Vogel, wie oft hat man diese Zeile bereits gelesen oder gehört. Auch Tom Cloudman geht sie nicht aus dem Kopf. Seit seiner frühesten Kindheit versucht er alles, um es seinen gefiederten Vorbildern gleich zu tun – und scheitert damit stets. Die dafür geerntete Belustigung der Zuschauer ist ihm nur ein kurzer Trost, er hält es nicht aus, ohne den Himmel zu schmecken. Doch irgendwann geschieht es. Ein Unfall, von dem er sich nur schwer erholt und durch den seine unheilbare Krankheit entdeckt wird. Von nun an im kalten sterilen Krankenhaus ans Bett gefesseltzu sein ist für Tom jedoch unerträglich. Er braucht das Fliegen, er muss fliegen. Und so beginnt er nachts heimlich die Kopfkissen der Mitpatienten zu plündern und die erbeuteten Federn zu einem neuen Flügelpaar zusammen zu basteln. Als er jedoch eines Abends auf dem Krankenhausdach landet, trifft er eine geheimnisvolle Frau – halb Vogel, halb Mensch -, die ihm einen großartigen Vorschlag unterbreitet: die Befreiung aus seiner tödlichen Krankheit. Doch dafür muss er bereit sein, sich selbst aufzugeben…
Schon zu Anfang weiß Malzieu den Leser zu fesseln. Er tritt so offen und ehrlich, ungeschönt und dabei so zerbrechlich und klar in die Handlung und Gefühlswelt seiner Protagonisten ein, dass man gar nicht anders kann, als ihnen gebannt zu folgen. In alle Höhen, in alle Abgründe und bis an den Rand des Himmels. Seine Sprache ist dabei so bildreich und poetisch, voller Kraft und Zärtlichkeit – man kann es kaum erklären. Ich konnte den Roman fast nicht aus der Hand legen. Die Handlung ist so anrührend, ohne triefend oder kitschig zu sein. Pure Gefühle jeglicher Art werden sehr geradlinig geschildert. Sei es Toms Überlebenskampf, sei es die Sorge der geheimnisvollen Vogelfrau Endorphina um ihn. 
Selten gibt es Literatur, die so fantasievoll mit der Thematik des Sterbens und des Weiterlebens durch Liebe umgeht. Ich hatte am Ende Tränen in den Augen.
Mein Fazit: Lasst euch von Tom und Endorphina mit bis zum Rand des Himmels und darüber hinaus nehmen. Es wird eine märchenhafte Reise, eine Metamorphose, wie sie es vorher noch nie gegeben hat. 
Die harten Fakten: 
Mathias Malzieu – Metamorphose am Rande des Himmels.
12,99 €
erschienen im carl’s books Verlag
ISBN: 978-3-570-58520-7
Ich
bedanke mich an diese Stelle bei der PR-Stelle des carl’s books
Verlags für das kosten- und bedingungslose Rezensionsexemplar!
Die hohe Kunst des Bankraubs

Christopher Brookmyre – Die hohe Kunst des Bankraubs

Ihr Lieben!
Bei einem kürzlichen Streifzug durch die örtliche Lieblingsbuchhandlung sah ich die eine oder andere Neuerscheinung in Sachen Roman und stellte entzückt fest, dass ich einige der besonders gelobten Titel bereits vorab vom entsprechenden Verlag als Rezensionsexemplar zugeschickt bekommen habe. Welch ein Glück ich doch hatte, war doch u. a. dieses Schmankerl hier dabei, welches ich euch heute vorstellen möchte: Christopher Brookmyres „Die hohe Kunst des Bankraubs“.

Die Show war also nicht mehr aufzuhalten. Einer der Clowns war ein Liliputaner (Michelle fiel die aktuell politisch korrekte Bezeichnung nicht ein, aber in ihrem Zustand musste alles außer ‚Giftzwerg‘ als zuvorkommend höflich gelten), der mit kunstvollen Saltos zwischen zwei anderen in der Truppe hin- und herflog und immer wieder mit dem Fuß in ihren verschränkten Händen landete. (…) 
Katerbedingt misstrauisch ließ sie sich nicht so von dem Schauspiel einlullen wie die anderen Zuschauer und sah, was das Spektakel überspielte: Sie hatten kein Trampolin gebraucht, aber dort stand ein Mann auf der Sicherheitsbarriere. Keine Strumpfmasken weit und breit, aber doch standen da fünf Vermummte in der Bank. Zwar hatte keiner eine Waffe gezogen, aber die Kunden hatten trotzdem schon die Hände oben. 
Unwillkürlich sprach die diese Erkenntnis laut aus: ‚Das ist ein Überfall.“ 
Der Clown, der Michelle am nächsten stand, tippte sich mit einem Finger im Gummihandschuh an die Nase, um ihr zu bedeuten, dass sie richtig geraten hatte. Dann hob er dramarisch beide Hände und brüllte: „Alakazammy, stairheid rammy!“
Angelique de Xavia ist nicht sonderlich begeistert davon, als sie an ihrem freien Tag von ihrer vermeintlich geheimen Freizeitaktivität – Fußballschauen im Stadion – mit einem schicken Dienstwagen abgeholt und zu einem Notfalleinsatz gefahren wird, steckt ihr doch noch das posttraumatische Stresssyndrom des letzten, gerade so erfolgreich verhinderten Terroranschlags in den Knochen. Und nun das: eine Geiselnahme in einer Bank? Was soll das? Will der Einsatzleiter, der sie zuvor bei der obligatorischen Analyse nach dem Einsatz als verantwortungslos und eigenmächtig handelnd beschimpft hat, etwa erneut in eine missliche Lage bringen, damit sie wirklich Mist baut und endlich gefeuert werden kann?
Doch nein, der Grund ist weit pragmatischer – passt die athletische aber zierliche Frau doch einfach nur wesentlich besser durch den Lüftungsschach auf dem Dach als die anderen muskelbepackten Einsatzaffen. Nicht sonderlich begeistert schultert Angelique also den Technikspielkram und bricht heimlich in das umstellte Bankgebäude ein. Doch anstatt nur schnell ihren Job zu erledigen, wird sie von zwei als Clowns maskierten Räubern gestellt. Prima, und das an ihrem 30. Geburtstag. 
Doch die erwartete Anspannung, der Nervenkitzel und die Angst bleiben aus, verhält sich der Anführer der fünfköpfigen Truppe doch eher wie ein Gentleman als wie ein Verbrecher. Leicht verstört bemerkt Angelique, wie die beiden anscheinend miteinander flirten. Reichlich unpassend in dieser Situation. Und die sich aus dieser Begegnung entspinnende Beziehung zwischen den beiden als „reichlich unpassend“ zu bezeichnen wäre noch höflich, besteht doch ein andauerndes Lauern, ein Intressenkonflikt der delikatesten Art. Doch beide können nicht voneinander Abstand halten…
Tja, was soll ich also sagen? Ich bin ein Mensch, der bei TV-Serien oder Filmen immer recht zeitig weiß, wer was war, was und wie passieren wird und somit oft seltener die Überraschung oder die Spannung fühlt, die die anderen erleben. Umso glücklicher bin ich, wenn ein Buch es schafft, mich wirklich hinters Licht zu führen und das hat „Die hohe Kunst des Bankraubs“ geschafft. Sagenhaft gut! 
Die Rollen sind von Anfang an klar: Sie ist die „Gute“, er ist der „Böse“, sie dürfen nicht zusammen kommen, wollen es aber doch. Schön, klassisch, gut. Es gibt also in dieser Hinsicht zunächst kaum Unklarheiten. Allerdings entstehen natürlich zweifelhafte Grenzsituationen, denn wie gut ist eine Polizistin, wenn sie in einer laufenden Ermittlung mit dem flüchtigen Tatverdächtigen einen Drink nimmt? 
Wirklich im Ungewissen bleibt dafür aber die ganze Zeit das Was und das Wie. Eine Illusion jagt die nächste, eine Täuschung ist schöner als die andere und die Auflösungen sind nie fade oder irreal sondern meist so fantastisch einfach und naheliegend, dass man sie einfach übersehen hat. Denn wie Jarry – die Hauptfigur – verrät das Buch stets bereits alles und sagt doch nichts, bis man an die entsprechende Stelle gelangt, wo plötzlich alles einen Sinn ergibt. Großartig!
Auch sprachlich ist das Buch äußerst amüsant. Sieht man über einige derbe Ausdrücke und Szenen hinweg, die dem eigentlichen Metier des Autors geschuldet sind, und überliest man die eine oder andere Anspielung, die wohl nur eingeweihten Schotten etwas sagen, bewegt sich der Roman in einem ansprechenden und witzigen Gefilde, das sich sehr gut in einem Rutsch weglesen lässt. Und bis auf einige seltsame Zwischeneinschübe und dem für mich zunächst noch etwas unverständlichem, langen Vorgeplänkel (welches sich im Nachhinein jedoch als entscheidend herausstellt!), hat das Buch keine Längen und alles löst sich schließlich auf. Fäden, die anfangs verwirrend lose dalagen, werden am Ende alle wieder zusammengeführt, ohne im Friede-Freude-Eierkuchen-Land zu landen.
Mein Fazit: Himmel Herr Gott, kauft euch dieses Buch, leiht es euch aus oder kriegt es irgendwie anderweitig her – aber ich bin der Meinung, es lohnt sich auf jeden Fall! Ich bin lange nicht mehr so schön in die Irre geführt worden. Alakazammy, stairheid rammy!
Die harten Fakten:
Christopher Brookmyre – Die hohe Kunst des Bankraubs
14,99 €
erschienen im Galiani Berlin Verlag 
ISBN: 978-3-86971-077-8
 

Ich
bedanke mich an diese Stelle bei der PR-Stelle des Galiani Berlin Verlags
für das kosten- und bedingungslose Rezensionsexemplar!