Schlagwort-Archiv: Schreibwerkstatt

Das Letzte Wort – März.

Frühlingsfrustration.

Mit welchem Recht, verdammt nochmal, bleibt die Sonne und das warme Wetter eigentlich so lange aus? Wer hat denn das erlaubt und bestellt, bitte schön? Ich sicherlich nicht!
Seit Wochen schon sitze ich am Fenster und leise zieht’s durch mein Gemüt, ein klingendes kleines Frühlingslied – aber gegen diese Kaltfront dort draußen kann es leider nicht anstinken. Wie gerne würde ich lauthals brüllen, dass der alte Winter in seiner Schwäche sich in raue Berge verziehen soll! Aber nichts da, er hat taube Ohren diesbezüglich. Nichts mit vom Eise befreiten Strömen und Bächen, von wegen im Tale grünendes Hoffnungsglück. 
Ich sitze hier und halte die Nase unter jeden noch so kleinen Sonnenstrahl, auf dass er endlich meine Sommersprossen kitzelt, meine Laune hebt. Ich bin ein Winterkind, das ist klar – aber selbst mir reicht es jetzt! Denn das Leben wirkt langsam immer grauer und eingefrorener – und das ist es doch eigentlich gar nicht. Total alltägliche Dinge mutieren plötzlich zu riesigen Problemen, die man kaum lösen kann. Was soll das denn? Wenn die Beziehung, das Schreiben, das Atmen schwer fällt und nicht mal Schlafen mehr Erholung schenkt, dann weiß man doch – da ist was faule im Staate Dänemark! Die Kälte umschließt mir immer mehr das Herz, die grauen Wolken vernebeln den Geist. 
Ich will raus! Raus aus diesem Tiefkühlschrank! Ich habe es satt. Was soll das hier alles denn? Der Mut sinkt, ein kleines Stückchen mehr vom Eis schließt sich um mein Herz. Ich kann nicht mehr…
Mein Dusterklumpen – übrigens auch mit Wollmütze und Schal bestückt – sitzt da und gluckst vor sich hin. Ihm klirren dabei die Eiszapfen an der Nase. Er versucht den Schein zu wahren, er freue sich diebisch darüber, dass ich so trübe Gedanken habe. In Wahrheit ist ihm aber selber kalt … 

Ich seuftze entnervt und beschließe mit letztem Elan, mir den Föhn zu greifen und damit die ganze scheiß eingefrorene Welt aufzutauen – oder wenigstens meine Füße. 
Mein Dusterklumpen rollt mit den Augen. 
Und rückt ein Stückchen näher ran.

Das Letzte Wort – Februar.

Selbstständigkeit.
Selbstständig ist man selbst – und das ständig. So heißt es doch, nicht wahr? 
Ich halte mich eigentlich für einen ziemlich selbstständigen Menschen. Ich wohne alleine, organisiere meinen Alltag selbstständig, ich kann einigermaßen gut mit Geld umgehen, habe eine gesunde Ordnung, die ich selbst einhalte, ich befolge Regeln, durchdenke sie aber dennoch, habe eine eigene Meinung und meine Selbstdisziplin ist schon manchmal erschreckend hoch ausgeprägt, sodass böse Zungen mich sicher als Streber oder ähnliches betiteln (bzw. dies auch schon getan haben – who cares?) würden. Wissen eigne ich mir zudem bei Bedarf in Eigenregie an. Ich bin also schon ziemlich selbstständig.
Aber dann. Dann kommen so Momente. Da kriechen aus irgendwelchen finsteren Ecken Formulare und Papiere zu mir empor, die ausgefüllt werden wollen. Da steht man plötzlich vor einer Horde Menschen und soll denen etwas beibringen. Alleine. Oder man begegnet Aufgaben und merkt, dass man sie lösen können müsste, und weiß dennoch nicht aus, nicht ein. Bin ich wirklich so selbstständig? Oder habe ich einfach bisher nur Glück gehabt und war zur rechten Zeit am rechten Ort? Selbstständigkeit heißt doch Verantwortung übernehmen. Das tue ich. Meistens. Obwohl … also manchmal … 
Wann ist man denn nun wirklich selbstständig? Beruflich gibt es da eine Definition. Man weiß genau, was einem blüht – ob das wirklich mein Ziel sein soll? Davor habe ich eigentlich mehr Angst, als dass ich es als anstrebenswerte Richtung empfinde. So viel Papierkrieg. So viele Amtssachen. So viel Geld. So viel Stress. So viel Unsicherheiten.
Das will ich nicht. Aber bin ich dann trotzdem, abseits der Selbstständigkeit selbstständig? Oder schwimme ich doch nur in einer Masse mit, ducke mich in den Strom, erfreue mich meiner selbst errichteten Matrix, in der ich ja ach-so-selbstständig bin und bin in Wahrheit weiter davon entfernt, als der Mond von der Erde?
Mein kleiner Dusterklumpen gackert in meinem Kopf hämisch vor sich hin und grinst mich dreist an: „Na? Raffst du es doch endlich noch?`“
Na wie nett. 
Das will ich mir nicht bieten lassen! Aber nur, um es jemandem zu beweisen, dass ich es könnte, muss ich es doch nicht tun, oder? Vielleicht ist selbstständig sein eben doch vor allem die eigene Einschätzung richtig zu treffen und mit diesem Resultat gescheit umzugehen. Sich Schwächen eingestehen und zugestehen zu können und keinen dicken Max zu markieren, wo man eigentlich nur ein dürres Mäxchen ist. 
Mein Dusterklumpen schmollt, als ich diese Erkenntnis gewinne. Ich denke, es passt ihm nicht, wenn ich etwas raffe, das mir nutzt …  

Das Letzte Wort – Januar.

Da ich ja das Schreiben wieder aufnehmen will, allerdings nur selten genug Ruhe und Muse habe, tief genug in mich hineinzulauschen, um etwas ganz Freies zu verfassen, möchte ich hier zukünftig einmal im Monat eine Art Kolumne veröffentlichen. Dabei sollen Themen zur Sprache kommen, die mich den gesamten Monat nicht losgelassen haben, die mich inspirierten oder schockierten oder einfach spontan reizten und zu denen ich unbedingt auch meinen Senf dazu geben muss, denn: Wer hat nicht gerne Das Letzte Wort?

Abschlussschmerz.

Meinem eigentlichen Abschluss stehe ich noch nicht Angesicht zu Angesicht gegenüber. Er schaut zwar manchmal winkend zum Fenster herein, aber ich rolle noch genervt mit den Augen und ziehe einfach die Gardinen zu. Wie lange das noch klappt, werde ich sehen. Irgendwann werde ich ihn wohl seufzend auf eine Tasse Tee einladen und mich mit ihm auseinander setzen müssen. Bis dahin ist es aber noch ein bisschen Zeit. 
Dennoch habe ich seit einigen Wochen innerlich eine Art Wehmut, die ich mir nicht erklären kann. Ja, ich werde nächste Woche – amüsanter Weise an meinem Geburtstag – die allerletzte Pflichtveranstaltung meines Studiums besuchen. Ich werde einen gewaltigen Schritt tun und tatsächlich nichts mehr hören müssen, mich ausschließlich auf meine Masterarbeit konzentrieren können und sollen. Aber deswegen Tränchen verdrücken? Ich will doch weiterhin Veranstaltungen besuchen. Und noch bin ich doch hier, bei meinen Lieben. Wirklich Abschied muss ich doch noch lange nicht nehmen – warum der Kloß im Hals?
Ich komme mir selbst ganz dumm vor, kann nicht verstehen, wieso ich jetzt schon an das Ende denken muss, warum ich es nicht einfach auf mich zukommen lassen kann – bis dahin sind schließlich noch einige Meilensteine zu passieren, auf die ich mich mehr konzentrieren sollte. Aber der kleine zähe, schmollende Dusterklumpen in der hinteren Ecke meines Kopfes trollt sich einfach nicht von diesem Gedanken weg und klebt regelrecht an ihm. Ich wäre sehr dankbar, wenn ich ihn einfach wegspülen könnte, der Miesmacher geht mir ohnehin auf die Nerven. Aber wenn das so leicht wäre … 
Also hilft es nichts, ich muss mich mit diesem Gedanken abfinden: Eine wichtige, prägende Phase meines Lebens geht in absehbarer Zeit zuende. Was danach kommt, weiß ich nicht, werd ich sehen. Bis dahin gilt es auch noch genug Prüfungen und Aufgaben zu meistern. Mit solchen Sorgen werde ich mich also erst rumärgern, wenn sie akkut werden. Aber mit dem Abschlussschmerz muss ich bis dahin wohl dennoch leben. Denn der kleine Dusterklumpen in meinem Kopf hat neulich einen großen Koffer heimlich in meinen Kopf geschmuggelt und packt gerade gemütlich seine Klamotten aus – er bleibt wohl länger …

Ungeblendete Kinderaugen.

Der Raum erschien wie in
Nebel getaucht. Die halbtransparenten weißen Gardinen verhüllten fast komplett
die bodentiefen Fenster und sollten versuchen, das strahlende Sonnenlicht
auszusperren. Doch es wurde dadurch nur milchig und weicher. 

Ich sah die feinen
Staubpartikel in der Luft vor den Fenstern tanzen und umherwirbeln. Es wirkte
fast ausgelassen, ganz unpassend zur Stimmung
weiter innen im Raum. 
Ich wandte mich etwas
widerwillig von dem Schauspiel ab und betrachtete nachdenklich meine Familie.
Da war meine Schwester. Sie saß stumm, fast apathisch auf einem alten grünen
Samtsessel, der früher meiner Großmutter gehört hatte und von dem ich mich weigerte,
ihn zu entsorgen. Neben ihr am Fußende eines schmalen Bettes saß mein Mann.
Sein Gesicht war rot und fleckig, nass und gleichzeitig wirkte es glühend heiß.
Die Schlinge um seinen Arm und die zahlreichen Wunden in seinem Gesicht
schienen ihm kaum bewusst zu sein. Sie wirkten aber befremdlich auf mich. Und
auch wenn er aufgewühlt, ja fast aufgelöst wirkte und nahezu ununterbrochen in
einer unerhörten Lautstärke diskutierte, so war er noch nichts im Vergleich zu
meiner Mutter, die wie eine unruhige Löwin im Zimmer auf und ab lief.
Energisch, schwer, wütend waren ihre Schritte. Sie gab sich dieses Mal keine
Mühe, elegant und bedächtig zu wirken. Ihr sonst so zeitloses Gesicht war
verzerrt, wurde von Emotionen vergewaltigt, die ich nicht greifen, nicht
verstehen konnte. Auch sie schrie, klagte, lief hin und her, unruhig, ziellos.
Ihre Hände waren fahrig und griffen nach allem, was Halt versprach – ihren
Ärmeln, einer kleinen Porzellandose, ihren Haaren.

Was war nur
passiert? 

So kannte ich meine
Familie nicht – diese Menschen schienen mir fremd. Wo war das abfällig-ironische
Grinsen meiner Schwester, ihr freches Funkeln in den Augen? Wo war die Kraft,
die Unbeugsamkeit meines Mannes hin, mit der er stets den wirren Gedanken und
Einfällen, die ich nahezu ständig äußerte, die Stirn bot. Es war nie einfach
mit mir, das wusste ich, aber wir hatten uns doch so auf einander eingespielt –
nichts, dachte ich, könnte ihn je so aus der Fassung bringen. Und meine Mutter?
Eine sonst so auf Äußerlichkeiten bedachte Person, die an eine krankhafte
Perfektionistin grenzte. Kaum jemand kannte diese besorgte, diese unsichere
Seite an ihr. Wir sahen es nur selten, ihr schlagendes Herz. Sie hielt es
meistens gut unter Verschluss. Doch irgendetwas hatte sie aus dem Konzept
gebracht. Nur was? Was?

„Was ist los?“,
fragte ich schließlich meine Schwester. Doch sie reagierte nicht. Sie stierte
weiter die dunklen Dielen des Zimmerbodens an und schien mich gar nicht
wahrzunehmen. Ich hockte mich langsam verärgert vor sie hin, direkt in ihr
Sichtfeld, und wollte ihr die Frage noch einmal stellen, da sah ich, wie eine
Träne, so dick und schwer, als sei der Kummer der ganzen Welt in ihr
eingeschlossen, sich in ihrem Augenwinkel sammelte. Meine Schwester weinte nie.
Ich war das emotionale Wrack, der Spinner und Träumer, die Wankelmütige. Ich
legte meine Hand an ihre Wange und flüsterte leise ihren Namen, zum Trost – ob
für sie oder mich, wusste ich selbst nicht genau. Sie zuckte zusammen und sah
auf, direkt in mein Gesicht und doch durch mich durch wie in weite Ferne.
Erschrocken sprang ich wieder auf. So einen Blick hatte ich noch nie gesehen.
Er sog alle Empfindungen aus mir heraus und hinterließ nur Leere. Ich fühlte
mich fast unsichtbar, ich warf schon fast keinen Schatten mehr. An meine Mutter
brauchte ich mich in ihrer Stimmung zwar nicht wenden, sie hörte mir ja bereits
wenn sie ruhig war kaum zu, aber ich versuchte sie dennoch anzusprechen. Doch
nichts nütze – keiner schien mich zu bemerken. Was war denn geschehen?

„Mama!“ Es war
ein Flüstern, ich hätte es fast bei dem Gezeter im Raum überhört. Mit einem
Ruck drehte ich mich zur Tür, wo der Schopf meiner kleinen Tochter sich kaum
sichtbar am Rahmen vorbeigeschoben hatte und mich direkt ansah. Ihre Augen
waren groß und erstaunt und gleichzeitig besorgt. Kein Wunder bei diesem Chaos.
Noch einmal flüsterte sie „Mama!“, und hielt mir ihre kleine Handfordernd
 hin. Ich flog regelrecht auf sie zu,
glücklich, dass endlich jemand mich wahrnahm und gleichzeitig besorgt um meine
Tochter, mein Kind, bei dem dieses Geschrei, diese Gefühle doch eine
überwältigende Verwirrung ausgelöst haben mussten. Ich ergriff ihre Hand und sie
zog mich leise und doch bestimmt in den dunklen Flur. Die Tür lehnte sie
vorsichtig wieder an, so dass die Stimmen gedämpft, das Licht schummrig wurde.
Wir ließen uns an der Wand entlang auf den Boden gleiten, meine Tochter neben
mir und ich den Arm um sie gelegt. Ich musste etwas sagen. Für sie da sein.
Dieses Gefühl bestimmte alle meine Gedanken. „Alles wird wieder gut, meine
Kleine. Mach dir keine Sorgen!“, murmelte ich in ihr Haar. Es roch nach
Gänseblümchen und Gras. Natürlich, es war ein Sommertag, sie hatte im Garten
gespielt. 

„Mama?“ 
„Ja?“
„Was machst du noch
hier?“

Ich war irritiert. Wo
sollte ich denn sonst sein? „Wie meinst du das?“

Meine Tochter sah mich mit
großen Augen an, schlug die Lider einen Moment nieder und als sich ihre dichten
Wimpern wieder hoben, legte sie den Kopf schief und antwortete: „Mama, du
brauchst nicht mehr hier sein, weißt du das denn nicht? Du kannst
weitergehen.“

Ich verstand sie
nicht. 

„Aber Liebes, ich
muss doch auf dich aufpassen und für Papa und Oma und all die anderen da sein.
Du hast doch gesehen, dass etwas nicht stimmt, sie brauchen mich doch jetzt. Da
kann ich doch nicht weggehen.“ Ich lächelte sie an, doch sie betrachtete
mich nur nachdenklich.

„Mama, verstehst du
denn nicht, dass das deinetwegen ist?“

Ich verstand sie wirklich
nicht. Was war mit mir? Mein kleines Mädchen schien es besser zu begreifen. Sie
kuschelte sich an mich und alles wirkte vertraut, bis zu ihren Worten:
„Mama, du bist tot.“

Ich fühlte mich mit einem
Mal eiskalt. Ich hielt es für einen schlechten Scherz und wollte sie deswegen
bereits schimpfen. Doch mit einem Mal verstand ich es, erinnerte mich
wieder. 

„Du hattest einen
Unfall mit Papa“, hörte ich die Stimme meiner Tochter, „und nun
streiten sie darüber.“ 

Ich nickte stumm und
betrachtete sie. Wie viel sie bereits begriff. Ein Schwall Mutterstolz erwärmte
mich wieder und ich begann zu lächeln. Gleichzeitig traten mir Tränen in die
Augen.

„Du hast Recht. Jetzt
weiß ich es wieder. Und es tut mir so leid!“ Ich umarmte sie ganz fest.

„Ich weiß Mama. Mir
auch. Aber du musst jetzt gehen. Hier wirst du nicht mehr glücklich.“

Wie weise sie doch
war. 

Und was ihre ungeblendeten
Kinderaugen noch alles sahen.

Wir saßen noch einen
Moment da und hielten einander fest. Ich spürte ein langsam in mir ansteigendes
Prickeln und wurde von Wärme umhüllt. Ich wusste, nun war es soweit. Erst wenn
eine Seele geliebt wird, kann sie gehen.  

Langsam schob ich sie von
mir und lächelte sie an. „Vergiss nie, dass du mich gerettet hast“,
flüsterte ich ihr zu. Und auch wenn sie einen sorgenvollen Blick in den Augen
hatte und ihre Unterlippe zu beben begann, so wusste ich doch, dass sie tapfer
sein würde und ich gehen konnte. Sie sagte noch leise: „Mama, ich werde
dich vermissen!“ 

„Ich dich auch. Ich
warte auf dich.“ 

Wir lächelten uns an.
Das war das letzte, was
ich sah. 

Ich freue mich so sehr auf
den Moment, wenn ich ihr Lächeln wiedersehe. 

Bald.

Entwachsen.

Wann ist das denn nur passiert?

Seit wann fühle ich mich schon so? Seit wann schaue ich mich um, umgeben von Gleichgesinnten, Gleichdenkenden, Gleichfühlenden und fühle mich doch ganz anders? Seit wann erkenne ich nicht mehr den Sinn der ganzen Kleinigkeiten, für die ich früher so vieles gegeben habe, auf die ich früher so vieles gab? In welchem Moment schied ich aus dieser stillen Gemeinschaft aus und bin unbemerkt plötzlich ganz anders geworden? Habe ich überhaupt jemals dazu gehört?

Erwachsen. Pah. Wie das klingt. Das ist doch eigentlich nur Schikane, nur Augenwischerei. Erwachsen – so etwas gibt es nicht, kann es auch nicht geben. Denn schon das Wort allein ist irreal und unsinnig. Es verspricht etwas, was weder erstrebenswert noch möglich ist.
E und R. „Er-“. Diese zwei Buchstaben, diese eine kleine Silbe, will so viel bedeuten und macht damit so viel kaputt. Sie impliziert einen Abschluss. Als wäre man fertig, als sei man am Ziel. So etwas Bescheuertes. Wie kann ich denn etwas erreichen – da ist es übrigens schon wieder! – was es nicht gibt? Denn wie kann ich denn fertig werden mit einem Prozess, der gar nicht darauf angelegt ist, beendet zu werden. Er ist immer unfertig. Ich kann nicht erwachsen. Ich bin nicht erwachsen.
Ich bin höchstens entwachsen.
Diese Erkenntnis lässt mich schlucken und macht mich traurig, macht mir Angst. Ich bin meiner seelischen Heimat, meiner mentalen Zufriedenheit entwachsen. Entwachsen – das ist wie entlaufen oder entscheiden. Da war was und nachdem man etwas getan hat, ist es weg, ist alles anders. Ich bin mir selbst entwachsen. Und das, obwohl ich mir so sicher war, mich selbst gefunden zu haben. Offensichtlich war das ein Trugschluss, dem aber scheinbar nicht nur ich erliege, sondern eigentlich der Großteil der Gesellschaft. Sie verlassen sich darauf, dass sie erwachsen sind und sind in Wahrheit nur eines Zustandes entwachsen. Und so lange sie sich darüber nicht im Klaren sind, wissen sie auch nicht, dass sie auf der Stelle treten und noch nirgendwo angekommen sind. Arme Erwachsene.

In diesem Sinne ist es eigentlich ein Gewinn, dass ich weiß, dass ich nur entwachse. Aber damit einher kommen auch die Ungewissheit, das Sorgen und das Fragen. Das ist übrigens auch sehr „erwachsen“, nicht wahr? Man sorgt sich ständig, um alles und jeden. Die Zukunft ist ungewiss und man hat die Gabe verloren, sich einfach auf sie einzulassen. Also plant man. Man erstellt Plan A und zur Sicherheit noch Plan B bis F und plant so lange an den Plänen, bis man so zugeplant ist, dass keiner der Pläne sich noch wie geplant verwirklichen lässt. Man verlässt sich aber auf diese mentale Sicherheit. Man ist glücklich in seiner Verplantheit.
Ich neige auch dazu, das weiß ich. Das habe ich schon immer. Dieser Tatsache bin ich noch nicht entwachsen. Man kann es sich also nicht aussuchen, was man verliert und was man behält beim Wachsen. Schade. Das würde mir besser gefallen. Dann würde ich die Naivität mir nehmen, zusammen mit dem Urvertrauen, das ich einst besessen habe, bevor ich auf Menschen getroffen bin. Ich würde gerne wieder die Welt so schön und bunt sehen dürfen, wie ich sie einmal gesehen habe. Und dann würde ich es gerne für immer in diesem großen Gefäß namens Gehirn sicher ablegen und mir immer wieder anschauen, wie einen Schatz würde ich diese Bilder hegen und pflegen und in mir tragen. Doch man kann es sich nicht aussuchen. Wenn man wächst, dann muss man Platz machen für Neues und ausmisten. Schade, dass die wirklich wichtigen Dinge dabei verloren gehen und man nur noch weiß, man hatte sie mal, man hat sie aber nicht mehr. Die Erinnerung an eine Erinnerung ist einfach nicht das gleiche, wie die Erinnerung selbst.
Doch selbst wenn man weiß, dass es passiert, kann man es nicht verhindern. Denn man bemerkt es ja nicht. Ich habe es auch nicht bemerkt.

Wann ist das denn nur passiert?




ps: weil bereits besorgte Nachfragen kamen, ob es mir denn gut geht – ja tut es. Das hier ist kein Klagen und Jammern oder Ähnliches, sondern eine Übung im Schreiben. 
Schreiben war lange Zeit mein steter Begleiter und ist im Alltags des Studiums aber schon lange zu kurz gekommen. Ich möchte dieser Tatsache entgegen treten und ab und an mal wieder etwas verfassen. Und da ich nun schon lange Zeit diesen Blog unter dem Titel „Palans Welt“ führe und das Schreiben eigentlich ein Teil davon ist, möchte ich einige Dinge hier auch euch zeigen. 
Damit es nicht zu Irritationen kommt, werden diese Einträge zukünftig das neue Label „Schreibwerkstatt“ tragen. 
Ich hoffe, ihr ertragt solche Posts tapfer 😉