Schlagwort-Archiv: Das Letzte Wort

Das Letzte Wort – April.

Zeitmangel.
„Die Zeit rennt.“ „Die Zeit rinnt mir durch die Finger.“ „Wo ist denn nur die Zeit geblieben?“ – Was zum Henker ist da eigentlich passiert? 
Wie lange ist es denn schon wieder April oder besser noch Mai, denn das ist es ja wirklich morgen! Wo sind die Stunden, Tage, Wochen hin? Hat das Jahr nicht gerade erst begonnen? Ich hatte doch gestern erst Geburtstag, oder? Ist die Zeit unbemerkt an mir vorübergeschlichen – oder besser gerast – versteckt im grauen Winter-Brei der ersten Wochen? Oder liegt es an mir? Bin ich blind, taub, abgestumpft?

Das war doch früher alles nicht so schlim, oder? Liegt es vielleicht daran, dass man älter wird, dass die Tage im Einheitslook daher kommen, man im Trott des Alltags untergeht, sich selbst verliert? In Kindertagen hat sich das Aufstehen wenigstens noch gelohnt – da gab es jeden Tag etwas zu entdecken! Der Krabbelkäfer im Garten, die Wolke in Form eines Häschens, die Dramen der Puppen, die sie einem am nächsten Morgen brühwarm berichten müssen, damit man den Streit schlichtet… Die Ecken auf der Straße waren neu und bunt, alles konnte man noch entdecken und es war so spannend! 
Heute sind die Ecken – Ecken. Ein Stein, ein Fußweg, mein Haus, mein Bett, gute Nacht. Sehr spannend. 
Kein Wunder also, dass in diesem seichten Tagesgeplätscher die Zeit ganz unbemerkt vorbeizieht, ich sie in den wenigen wachen Momenten kaum greifen kann und die schönen Erinnerungen irgendwie schnell verblassen oder so hochstilisiert werden, dass sie nicht mehr als Erinnerung taugen, sondern am nächsten Tag einen nur noch runterziehen, da dieser keinen solchen Moment für dich bereit halten wird. Denn die sind rar gesät. 
Wenn ohnehin jeder Tag gleich ist, dann lohnt sich das Aufstehen nicht, dann verpass ich nichts, wenn ich mich wieder umdrehe, morgen wird das gleiche wieder passieren und übermorgen auch und den Tag danach ebenso. Mein Dusterklumpen grient rund und zufrieden in sich rein, rollt sich zu einer Kugel und schlummert völlig selig über sein erbrachtes Tagewerk ein. Und dann? Dann scheint plötzlich die Sonne. 
Ach was soll’s! Vielleicht wird’s heute besser! Vielleicht verpasse ich ja doch etwas! Vielleicht wird es durch’s rumliegen nur schlimmer! Dann sind die Tage eben gleich. Dann entdecke ich nicht mehr so viel Neues. Solange ich die Schönheiten, die ich bereits gefunden habe, behalten kann, geht es mir gut.
Mein Dusterklumpen schnarcht einmal laut auf, dreht sich um und sonnt sich noch einen unwissenden Moment lang in seinem vermeintlichen Erfolg, während diesmal ich zufrieden in mich reinkicher und mich auf den kommenden Tag freue – ob er schnell oder langsam vergeht!

Das Letzte Wort – März.

Frühlingsfrustration.

Mit welchem Recht, verdammt nochmal, bleibt die Sonne und das warme Wetter eigentlich so lange aus? Wer hat denn das erlaubt und bestellt, bitte schön? Ich sicherlich nicht!
Seit Wochen schon sitze ich am Fenster und leise zieht’s durch mein Gemüt, ein klingendes kleines Frühlingslied – aber gegen diese Kaltfront dort draußen kann es leider nicht anstinken. Wie gerne würde ich lauthals brüllen, dass der alte Winter in seiner Schwäche sich in raue Berge verziehen soll! Aber nichts da, er hat taube Ohren diesbezüglich. Nichts mit vom Eise befreiten Strömen und Bächen, von wegen im Tale grünendes Hoffnungsglück. 
Ich sitze hier und halte die Nase unter jeden noch so kleinen Sonnenstrahl, auf dass er endlich meine Sommersprossen kitzelt, meine Laune hebt. Ich bin ein Winterkind, das ist klar – aber selbst mir reicht es jetzt! Denn das Leben wirkt langsam immer grauer und eingefrorener – und das ist es doch eigentlich gar nicht. Total alltägliche Dinge mutieren plötzlich zu riesigen Problemen, die man kaum lösen kann. Was soll das denn? Wenn die Beziehung, das Schreiben, das Atmen schwer fällt und nicht mal Schlafen mehr Erholung schenkt, dann weiß man doch – da ist was faule im Staate Dänemark! Die Kälte umschließt mir immer mehr das Herz, die grauen Wolken vernebeln den Geist. 
Ich will raus! Raus aus diesem Tiefkühlschrank! Ich habe es satt. Was soll das hier alles denn? Der Mut sinkt, ein kleines Stückchen mehr vom Eis schließt sich um mein Herz. Ich kann nicht mehr…
Mein Dusterklumpen – übrigens auch mit Wollmütze und Schal bestückt – sitzt da und gluckst vor sich hin. Ihm klirren dabei die Eiszapfen an der Nase. Er versucht den Schein zu wahren, er freue sich diebisch darüber, dass ich so trübe Gedanken habe. In Wahrheit ist ihm aber selber kalt … 

Ich seuftze entnervt und beschließe mit letztem Elan, mir den Föhn zu greifen und damit die ganze scheiß eingefrorene Welt aufzutauen – oder wenigstens meine Füße. 
Mein Dusterklumpen rollt mit den Augen. 
Und rückt ein Stückchen näher ran.

Das Letzte Wort – Februar.

Selbstständigkeit.
Selbstständig ist man selbst – und das ständig. So heißt es doch, nicht wahr? 
Ich halte mich eigentlich für einen ziemlich selbstständigen Menschen. Ich wohne alleine, organisiere meinen Alltag selbstständig, ich kann einigermaßen gut mit Geld umgehen, habe eine gesunde Ordnung, die ich selbst einhalte, ich befolge Regeln, durchdenke sie aber dennoch, habe eine eigene Meinung und meine Selbstdisziplin ist schon manchmal erschreckend hoch ausgeprägt, sodass böse Zungen mich sicher als Streber oder ähnliches betiteln (bzw. dies auch schon getan haben – who cares?) würden. Wissen eigne ich mir zudem bei Bedarf in Eigenregie an. Ich bin also schon ziemlich selbstständig.
Aber dann. Dann kommen so Momente. Da kriechen aus irgendwelchen finsteren Ecken Formulare und Papiere zu mir empor, die ausgefüllt werden wollen. Da steht man plötzlich vor einer Horde Menschen und soll denen etwas beibringen. Alleine. Oder man begegnet Aufgaben und merkt, dass man sie lösen können müsste, und weiß dennoch nicht aus, nicht ein. Bin ich wirklich so selbstständig? Oder habe ich einfach bisher nur Glück gehabt und war zur rechten Zeit am rechten Ort? Selbstständigkeit heißt doch Verantwortung übernehmen. Das tue ich. Meistens. Obwohl … also manchmal … 
Wann ist man denn nun wirklich selbstständig? Beruflich gibt es da eine Definition. Man weiß genau, was einem blüht – ob das wirklich mein Ziel sein soll? Davor habe ich eigentlich mehr Angst, als dass ich es als anstrebenswerte Richtung empfinde. So viel Papierkrieg. So viele Amtssachen. So viel Geld. So viel Stress. So viel Unsicherheiten.
Das will ich nicht. Aber bin ich dann trotzdem, abseits der Selbstständigkeit selbstständig? Oder schwimme ich doch nur in einer Masse mit, ducke mich in den Strom, erfreue mich meiner selbst errichteten Matrix, in der ich ja ach-so-selbstständig bin und bin in Wahrheit weiter davon entfernt, als der Mond von der Erde?
Mein kleiner Dusterklumpen gackert in meinem Kopf hämisch vor sich hin und grinst mich dreist an: „Na? Raffst du es doch endlich noch?`“
Na wie nett. 
Das will ich mir nicht bieten lassen! Aber nur, um es jemandem zu beweisen, dass ich es könnte, muss ich es doch nicht tun, oder? Vielleicht ist selbstständig sein eben doch vor allem die eigene Einschätzung richtig zu treffen und mit diesem Resultat gescheit umzugehen. Sich Schwächen eingestehen und zugestehen zu können und keinen dicken Max zu markieren, wo man eigentlich nur ein dürres Mäxchen ist. 
Mein Dusterklumpen schmollt, als ich diese Erkenntnis gewinne. Ich denke, es passt ihm nicht, wenn ich etwas raffe, das mir nutzt …  

Das Letzte Wort – Januar.

Da ich ja das Schreiben wieder aufnehmen will, allerdings nur selten genug Ruhe und Muse habe, tief genug in mich hineinzulauschen, um etwas ganz Freies zu verfassen, möchte ich hier zukünftig einmal im Monat eine Art Kolumne veröffentlichen. Dabei sollen Themen zur Sprache kommen, die mich den gesamten Monat nicht losgelassen haben, die mich inspirierten oder schockierten oder einfach spontan reizten und zu denen ich unbedingt auch meinen Senf dazu geben muss, denn: Wer hat nicht gerne Das Letzte Wort?

Abschlussschmerz.

Meinem eigentlichen Abschluss stehe ich noch nicht Angesicht zu Angesicht gegenüber. Er schaut zwar manchmal winkend zum Fenster herein, aber ich rolle noch genervt mit den Augen und ziehe einfach die Gardinen zu. Wie lange das noch klappt, werde ich sehen. Irgendwann werde ich ihn wohl seufzend auf eine Tasse Tee einladen und mich mit ihm auseinander setzen müssen. Bis dahin ist es aber noch ein bisschen Zeit. 
Dennoch habe ich seit einigen Wochen innerlich eine Art Wehmut, die ich mir nicht erklären kann. Ja, ich werde nächste Woche – amüsanter Weise an meinem Geburtstag – die allerletzte Pflichtveranstaltung meines Studiums besuchen. Ich werde einen gewaltigen Schritt tun und tatsächlich nichts mehr hören müssen, mich ausschließlich auf meine Masterarbeit konzentrieren können und sollen. Aber deswegen Tränchen verdrücken? Ich will doch weiterhin Veranstaltungen besuchen. Und noch bin ich doch hier, bei meinen Lieben. Wirklich Abschied muss ich doch noch lange nicht nehmen – warum der Kloß im Hals?
Ich komme mir selbst ganz dumm vor, kann nicht verstehen, wieso ich jetzt schon an das Ende denken muss, warum ich es nicht einfach auf mich zukommen lassen kann – bis dahin sind schließlich noch einige Meilensteine zu passieren, auf die ich mich mehr konzentrieren sollte. Aber der kleine zähe, schmollende Dusterklumpen in der hinteren Ecke meines Kopfes trollt sich einfach nicht von diesem Gedanken weg und klebt regelrecht an ihm. Ich wäre sehr dankbar, wenn ich ihn einfach wegspülen könnte, der Miesmacher geht mir ohnehin auf die Nerven. Aber wenn das so leicht wäre … 
Also hilft es nichts, ich muss mich mit diesem Gedanken abfinden: Eine wichtige, prägende Phase meines Lebens geht in absehbarer Zeit zuende. Was danach kommt, weiß ich nicht, werd ich sehen. Bis dahin gilt es auch noch genug Prüfungen und Aufgaben zu meistern. Mit solchen Sorgen werde ich mich also erst rumärgern, wenn sie akkut werden. Aber mit dem Abschlussschmerz muss ich bis dahin wohl dennoch leben. Denn der kleine Dusterklumpen in meinem Kopf hat neulich einen großen Koffer heimlich in meinen Kopf geschmuggelt und packt gerade gemütlich seine Klamotten aus – er bleibt wohl länger …